«Der Bund», 1.7.09

Wehe den Tastaturen!

Früher, bei der guten alten mechanischen Schreibmaschine, da wussten Konstrukteure und Serviceleute ganz genau, welche Taste mit welchem Typenhebel ihre ganz besondere Sorgfalt beanspruchte: Das E wars, das wegen seiner besonderen Häufigkeit zumindest in den europäischen Sprachräumen zu Materialermüdungen führte. In den Innereien heutiger Computer spielen solche Stressfaktoren keine Rolle mehr, nur noch die Tastatur zeigt letzte Reste des mechanischen Weltbilds. Doch seit etlichen Jahren ist nicht mehr das E der meiststrapazierte Buchstabe – es ist das W, das die Würde der Weihung durch das World Wide Web mit der Bürde bezahlt, tagtäglich millionenfach als «www» in Internet-Adressen getippt zu werden.

So entstand auch das bösartige Gerücht, beim Amtsantritt George W. Bushs hätten Anhänger seiner Gegenpartei vor der Vertreibung aus den höheren Amtsstuben daselbst die W-Tasten sabotiert oder gar mitlaufen lassen. Dabei handelte es sich um ganz gewöhnliche Servicearbeiten, die entweder noch anstanden oder mit der Demontage der Tasten gerade eben begonnen hatten.

Das Tragische an alledem: Das Wehklagen über Tastaturen ist je länger, je weniger nötig, denn die meisten Adressen funktionieren mittlerweile ohne «www» genauso gut wie mit. Es gibt sogar welche, die nur ohne die unsägliche Buchstabenverschwendung zur gewünschten Seite führen, zum Beispiel «bundblog.derbund.ch». Ganz und gar «unsäglich» ist die Verschwendung natürlich nicht. Wir werden uns noch mit Wehmut daran erinnern, wie alle Anbieter das Bedürfnis hatten, ihre Internet-Präsenz mit «weh, weh, weh» zu verkünden. Oder auf Italienisch mit freudigem Gebell: «vu, vu, vu»

© «Der Bund»/Daniel Goldstein