Sprachspiegel, Februar 2015

Formeln für Verständlichkeit

Eine der ältesten Formeln, um die Lesbarkeit von Texten mathematisch zu erfassen, ist auch heute noch eine der meistgebrauchten: jene des aus Österreich stammenden Amerikaners Rudolf Flesch, der sie 1948 vorlegte. Sie beruht auf der durchschnittlichen Satzlänge (SL, Wörter pro Satz) und der durchschnittlichen Wortlänge (WL, Silben pro Wort). Flesch wählte zur Berechnung der Leseleichtigkeit (Reading Ease, RE) Koeffizienten, die für Englisch in der Regel ein Resultat von 0 (sehr schwer) bis 100 (sehr leicht) ergeben:

RE = 206,835 – 1,015 SL – 84,6 WL

Der Schweizer Toni Amstad modifizierte 1978 die Formel, da sie nach seiner Ansicht die Wortlänge zu stark gewichtet und sich dies im Deutschen mit seinen längeren Wörtern besonders stark auswirkt. Um ebenfalls eine Spreizung von 0 bis 100 zu erreichen, verwendete er folgende Koeffizienten:

RE (deutsch) = 180 – 1 SL – 58,5 WL

Damals lagen Amstad rund 50 verschiedene Indizes vor, von denen etliche ausser Wort- und Satzlänge auch Auftretenshäufigkeit und Vielfalt der Wörter, den Anteil einfacher Sätze und die Häufigkeit präpositionaler Wendungen berücksichtigten. Für die wichtigsten Indizes lagen auch Validierungen vor: Man hatte bei Testlesern das effektive Verständnis geprüft und eine recht gute Übereinstimmung mit den errechneten Werten festgestellt.

Heute gibt es allein für Englisch etwa 200 Indizes. Im deutschen Sprachraum ist jener von Amstad weiterhin sehr gebräuchlich. Er bildet auch einen Teil des Hohenheimer Verständlichkeitsindex, der u. a. von TextLab (Testbericht ab Seite 10) verwendet wird. In die Berechnung fliessen drei weitere Indizes sowie Angaben über Satzteile und über besonders lange Wörter und Sätze ein. (dg)

Quellen:

Toni Amstad: Wie verständlich sind unsere Zeitungen? (Diss. Zürich 1978).

Jürg Niederhauser: Wie aussagekräftig sind Verständlichkeitsformeln? (tekom Nachrichten 1/1993, S. 8–12).

Wikipedia: Lesbarkeitsindex.

Weitere Ressourcen im Internet siehe Rubrik «Netztipp» (Seite 29).


Selbstversuch im Heimlabor

Der «Sprachspiegel» testet ein Programm zur Textpflege

Von Daniel Goldstein

Das Verdikt kommt nach wenigen Sekunden: Gibt man dem Computerprogramm TextLab ein Schriftstück zum Analysieren, springt eine Art Tachometer auf einen Wert zwischen 0 und 20. Es handelt sich dabei um den Hohenheimer Verständlichkeitsindex, benannt nach der deutschen Stadt, an deren Universität er entwickelt wurde. Die komplizierte Formel (vgl. Index-Übersicht Seite 9) ist so geeicht, dass ein Fachtext mindestens 12 Punkte erreichen sollte, ein Brief 14, ein Internet-Text 16 und Leichte Sprache 18 (vgl. Artikel ab Seite 15).

Als erster Versuchstext dient der vor einem Jahr erschienene «Brennspiegel» vorne im Heft. Er ist quasi ein Brief an die Leserschaft und genügt mit 14,6 Punkten auf Anhieb der entsprechenden Anforderung. Das Programm liefert Anhaltspunkte, wie die Verständlichkeit weiter verbessert werden kann. Da sind einmal die Kriterien, die in den Index einfliessen: Wort- und Satzlänge sowie Satzgliederung. Bei den Wörtern sind 16 Buchstaben die Schmerzgrenze, bei den Sätzen 20 Wörter.

Im getesteten «Brennspiegel» löste in erster Linie die Satzlänge eine Warnung aus, weil mehr als die in einem Brief tolerierten 3 Prozent der Sätze «zu lang» waren. So dieser: «Wenn Lateinschüler in der Pause den angeführten Spruch von sich geben, arbeiten sie dann dem eigentlichen Zweck der Schule entgegen?» Nach der Demontage dreier derartiger Sätze steigt der Index auf 17,5.

Nicht nur die Länge entspricht jetzt den Brief-Vorgaben, sondern auch der Anteil Nebensätze. Der Indexstand reicht locker für eine Website und beinahe für Leichte Sprache (die allerdings nicht via Index definiert ist, sondern durch ganz bestimmte Vorgaben). Mit 19,89 Punkten hat der Architekturkritiker Benedikt Loderer in einer Tribüne im «Bund» fast perfekte Verständlichkeit erreicht, auch dank Stellen wie dieser: «Dichtestress? Wo denn? Jedenfalls nicht in der Agglomeration.»

Anhaltspunkte für Feinarbeit

Unabhängig vom Index liefert das Programm weitere Anhaltspunkte für die Arbeit am Text. Bestimmte Konstruktionen und gewisse Kategorien von Wörtern gelten als Erschwernisse. Dabei geht es nicht nur um die Verständlichkeit, sondern auch um die Kundenfreundlichkeit, ist doch TextLab vor allem für Firmen und Verwaltungen gedacht. Bei fragwürdigen Textstellen werden Ratschläge eingeblendet, etwa jener, man solle Sätze mit «ist zu» vermeiden, weil sie als Befehlston wahrgenommen würden.

«Das Formular ist umgehend einzureichen» wäre so ein Fall; erfasst werden jedoch auch harmlose Sätze wie «Das ist zu viel» oder gar etwas Kundenfreundliches aus der Dokumentation zum Programm: «Der Kunde ist berechtigt, (das Handbuch) auszudrucken.» Hier zeigt sich eine Schwäche der automatischen Analyse; es bleibt einem nicht erspart, auch noch den gesunden Menschenverstand walten zu lassen.

Das empfiehlt sich ebenso bei weiteren Warnungen des Programms: Passivsätze «können unpersönlich wirken und das Verständnis erschweren». Manchmal gibt es trotzdem gute Gründe dafür, aber es schadet nichts, auf Häufungen hingewiesen zu werden. Dito bei der Häufung von Substantiven. Freilich wird bereits der Satz «Letztes Jahr hatte ich die Nase voll» als Nominalstil markiert, «typisch für Amtsdeutsch, wirkt schwerfällig und unpersönlich». Grund zur Ermahnung sind insbesondere «abstrakte Substantive», und dazu werden auch so leicht verständliche gezählt wie Grenze, Öffnung, Risiko.

Ein weiteres rotes Tuch sind Anglizismen, zuweilen eher wegen der Verärgerung der Kundschaft als wegen der Verständlichkeit und zuweilen irrtümlicherweise, «spotten» etwa. Ermittelt werden zudem Fachbegriffe; erstaunlicherweise war auch «als» dabei, weil es für die Krankheit ALS gehalten wurde. Ebenfalls anhand einer Liste werden Füllwörter signalisiert; dazu gehört «bestimmt», so im Satz «Unser Produkt wird Ihnen bestimmt gefallen». Freilich wirkt dieser Satz gerade dann arrogant, wenn man das Wort weglässt. Und als Füllwort wird es auch dort markiert, wo es nötig ist, so in der Klausel «Ist keine Vertragsdauer bestimmt … ». Ähnlich verhält es sich mit dem Verdacht auf Juristendeutsch: Schon bei «in erster Linie» oder «angezeigt» wird er angezeigt. Unter dem Stichwort Gender wird bei männlichen und weiblichen Formen gefragt, ob wirklich nur ein Geschlecht gemeint sei; Wörter mit Binnen-I dagegen gehen anstandslos durch.

Häckseln hilft, Verschachtelung wird übersehen

TextLab-Kunden können die Wortlisten und andere Kriterien an ihre eigenen Bedürfnisse anpassen. Angeboten wird das Programm von der Firma H&H Communication Lab in Ulm, zur Verwendung via Internet oder eingebunden in die Computersysteme der Kunden. Dem «Sprachspiegel» hat die Firma einen ausgiebigen Versuch ermöglicht. Dabei hat sich unter anderem gezeigt, dass sich der Indexwert auch mit Scheinverbesserungen erhöhen lässt. Im genannten langen Satz etwa reichte es, ein Komma durch einen Punkt zu ersetzen: «Wenn Lateinschüler in der Pause den angeführten Spruch von sich geben. Arbeiten sie dann dem eigentlichen Zweck der Schule entgegen?» (Es ging um den Spruch mit «Kikero und Käsar».)

So ist das Verständlichmachen natürlich nicht gemeint. TextLab macht gar keine Änderungsvorschläge für die einzelnen Textstellen. Man muss sich also schon selber etwas Sinnvolles einfallen lassen, etwa «Angenommen, Lateinschüler geben den (…) Spruch von sich: Arbeiten sie dann dem eigentlichen Zweck der Schule entgegen?» Der Doppelpunkt gilt als Satzschluss. Schachtelsätze werden nicht als solche erfasst. Meistens werden sie dennoch als verbesserungswürdig angezeigt, wegen der Länge und/oder der Anzahl Satzteile bzw. «Informationseinheiten» (ab dreien gibts eine Warnung; zuweilen werden mehr gezählt, als grammatikalisch vorhanden sind).

Für die Verständlichkeit von Bandwurmsätzen aber wäre es schon wichtig, zwischen verschlungenen und solchen zu unterscheiden, in denen ein Satzteil nach dem andern abgeschlossen wird, sodass sich Zurückschauen erübrigt. Unverschachtelt und nicht «zu lang», aber «zu reich» an Satzteilen war etwa der Satz, der an den «Zweck der Schule» anknüpfte: «Oder helfen sie im Gegenteil gerade, ihn zu erfüllen, indem sie von der Mussezeit einen derart erhellenden Gebrauch machen?»

Kein Ersatz für das Lektorat

Die weiteren Versuche bestätigten die Erfahrung: Man muss nicht auf alles eingehen, was das Programm beanstandet, aber es macht einen auf allerhand Verbesserungsmöglichkeiten aufmerksam, die man vielleicht beim blossen Durchlesen übersehen hätte. Beim Verbessern sind dann wiederum die eigenen Sprachfähigkeiten gefordert – oder jene des Lektorats, wenn die Firma oder Verwaltung über einen solchen Dienst verfügt.

Leute, die dort arbeiten, sollten die Schwachpunkte eines Texts auch ohne Computerhilfe erkennen, aber möglicherweise wird ihre Arbeitszeit sinnvoller eingesetzt, wenn die Verfasser zuerst selber schauen, wie weit sie mit TextLab kommen. Autoren dürften damit – und mit der Hilfe des Lektorats – allmählich die Fähigkeit erlangen, Texte auch ohne Software lesefreundlich zu bearbeiten. Eine Einzel­lizenz ohne Extras kostet 1200 Euro einmalige Gebühr und 50 Euro pro Monat. Für zusätzliche, gleichzeitig nutzbare Lizenzen gibt es Vergünstigungen; Spezialtarife gelten für die Einbindung in Firmensysteme.

Auf der Website www.comlab-ulm.de abrufbare Fallstudien und die Kundenliste auf www.text-lab.de lassen immerhin den Schluss zu, dass für diese Dienstleistung ein Markt besteht. Die Automatik kann aber jene Lektorin nicht ersetzen, die einen Text auf seine inneren Qualitäten überprüft, etwa für die Feinabstimmung aufs Zielpublikum und einen Aufbau, der sowohl die Aufmerksamkeit beim Lesen sichert als auch die Informationsvermittlung begünstigt.

Leicht zugängliches Online-Programm

Ähnlich wie TextLab funktioniert LinguLab. Das Programm überprüft nach Angabe des Anbieters aus Stuttgart (www.lingulab.de) Texte auf «Abkürzung, Adjektivhäufung, Anglizismen, Absätze, bürgernahe Verwaltungssprache, das Wichtigste zuerst, direkte Sprache, Dopplungen, Formulierungen und Floskeln, Füllwörter, Hervorhebungen, Hilfsverben, Kanzeleideutsch [sic], Listen, Modalität, negative Sprache, Nominalstil, Passivkonstruktionen, Satzlänge, Satzkonstruktionen, Textlänge, Überschriften, Verständlichkeit, Wortlänge, Zeitform Perfekt». Dies die Angaben für die Einstellung «Briefe»; für verschiedene Kategorien von Internet-Inhalten sowie für bürgernahe und für barrierefreie Sprache gelten leicht unterschiedliche Kriterien.

Neben der Hervorhebung von Problemstellen nimmt LinguLab mit einem Mischindex eine Bewertung vor, von 0 bis 5 Sternen (halbe möglich). Der «Brennspiegel» aus Heft 1/2014 wurde auch hier getestet und schnitt mit bloss einem Stern mager ab. Da das Programm nicht nur Wörter und Sätze beurteilt, sondern auch die Textstruktur, liess sich mit Titeln und Hervorhebungen schnell ein zweiter Stern holen. Es handelt sich um eine rein formale Prüfung; der Computer masst sich nicht an zu beurteilen, ob in einer Einleitung wirklich «das Wichtigste» steht.

Punkto Verständlichkeit wird u. a. jedes zusammengesetzte Wort angekreidet, so «Satzlänge». Eine Adjektivhäufung liegt schon in der Wendung «leicht verständlich» vor. Hilfsverben sind grundsätzlich ein Problem, selbst dann, wenn sie als Vollverben verwendet werden. Auch sogenannte Füllwörter zeigt das Programm grosszügig an. Man kann aber selber eine Liste genehmer Wörter anlegen, die dann nicht mehr markiert werden. Dagegen ist kein eigener Katalog von Wörtern möglich, vor denen man gewarnt werden möchte. Und man sollte nicht «man» sagen – ein Verstoss gegen die erwünschte «direkte Sprache».

LinguLab ermöglicht, selber einen Testzugang einzurichten, für 50 Textanalysen innert 30 Tagen; zu bestimmten Terminen wird ein «Webinar» (Online-Seminar) zur Einführung angeboten. Abonnements gibt es von 5 bis 125 Euro pro Monat; unterschiedlich sind dabei die Anzahl der Analysen und die Flexibilität.

© Daniel Goldstein (Sprachspiegel)