«Sprachspiegel», April 2018

Im Gestrüpp der deutschen Verneinungen

Ist immer auch logisch schlüssig, was sprachlich richtig ist?

Von Daniel Goldstein

Die deutsche Sprache ist nichts weniger als logisch. Und schon haben wir mit dieser Behauptung ein Logikproblem. Steht da, diese Sprache weise keine andere Eigenschaft in geringerem Mass auf als die, logisch zu sein? Oder aber, man könne ihr keine geringere Qualifikation erteilen als die, logisch zu sein? Im Folgenden werden wir einigen Logikfragen in deutschen Ausdrucksweisen nachgehen, vor allem bei Verneinungen. Mit «die Sprache» ist fortan die deutsche gemeint; ähnliche Überlegungen liessen sich – meist mit anderen Beispielen – auch für andere Idiome anstellen.

Eindeutig wäre der Einleitungssatz so: Die Sprache ist nichts Geringeres als logisch. Oder im gegenteiligen Fall: Logisch ist sie am allerwenigsten. Früher konnte man, wenigstens unter Sprachbewussten, den Unterschied mit einem einzigen Buchstaben klarmachen: hier das Lob mit «nicht weniger», den Tadel mit «nichts weniger». Denn «nicht» wurde als Verneinung der nachfolgenden Aussage verwendet und verstanden, «weniger als logisch» war damit als nicht zutreffend bezeichnet. In der Algebra würde man Klammern verwenden: Die Sprache ist nicht [weniger als logisch]. Dagegen aber: Die Sprache ist [nichts weniger] als logisch. Die Aussage «nichts weniger» betrifft hier also den Vergleich der Eigenschaft «logisch» mit allen anderen Eigenschaften.

Diese Unterscheidung wäre auch heute noch logisch zwingend, aber der Sprachgebrauch hat sie verwischt – und er hat den Vorrang, denn schliesslich geht es um Verständigung. Der Zweifelsfälle-Duden (Band 9) befindet, dass «nichts weniger als auch im Sinne von ‹nichts Geringeres als› gebraucht werden kann». Er empfiehlt indessen, eine eindeutige Formulierung (wie eben «nichts Geringeres als») zu verwenden, wenn es sonst Missverständnisse geben könnte. Beim Einstiegssatz ist diese Gefahr tatsächlich gegeben. Nicht aber hier: «Einstein war nicht(s) weniger als ein Genie.» Ob mit oder ohne s: Kaum jemand wird den Satz als Herabsetzung des grossen Physikers verstehen.

Keine Zweifel gab es wohl, als Gottfried Keller über seine Schulzeit schrieb: «Dort galt ich für nichts weniger, als einen talentvollen Zeichner.»1 Uns könnte das Komma verwirren, das nach heutigen Regeln nicht stehen dürfte, aber jedenfalls zeigt im Buch der Zusammenhang, dass sein zeichnerisches Talent nicht erkannt wurde. Ganz sicher täte die richtige Kommasetzung diesem Zeitungssatz gut: «Schweizer reisen nicht, weil es billiger ist, zum Skifahren nach Vorarlberg.» Verzichten die Schweizer als Snobs auf die Reise ans (vermeintliche) Billigziel? Nein, vermutlich werden sie dort von anderen Attraktionen als dem Preis angelockt, also: «Schweizer reisen, nicht weil es billiger ist, zum Skifahren …» (oder «… reisen nicht deshalb, weil …»).

Bevor Sie nicht weiterlesen

Bevor sich ein unlogischer Sprachgebrauch nicht unumgänglich durchgesetzt hat, darf man sich ihm durchaus verweigern. Just in dem Satz steckt mit «bevor nicht» so ein Beispiel: Es geht ja um den Zeitraum vor der Durchsetzung, also hat «nicht» hier nichts verloren – was wäre denn der Zeitraum vor einem nicht eingetretenen Ereignis? Das störende Wort hat sich wohl aus «solange nicht» eingeschlichen, wo es durchaus am Platz ist. Der Duden 9 (Zweifelsfälle, Eintrag «bevor») hat diese Vermischung als gebräuchlich registriert, er empfiehlt «bevor nicht» sogar, wenn der Nebensatz vorangeht: «Bevor du nicht unterschrieben hast, lasse ich dich nicht fort.» Riskiert man hier wirklich, missverstanden zu werden, wenn man «bevor» logisch richtig ohne «nicht» verwendet?

Ausdrücklich als «nicht korrekt» bezeichnet der Duden 9 (unter «Negation») die Doppelverneinung bei Verben des Unterlassens oder Verhinderns, etwa: «Sie bewahrte ihn davor, keinen falschen Schritt zu tun.» Das Handbuch findet aber bei «sich hüten» (ohne «davor») die Verneinung korrekt: «Hüte dich, dass du keinen Fehler machst.» Ich zöge vor: «Sieh zu, dass du keinen Fehler machst!» So hat der Imperativ sein Ausrufzeichen, und vor allem ist der Satz mit dem positiven «sieh zu» eindeutiger.

Eindeutiger? Kann man denn «eindeutig» steigern? In der Mathematik gibt’s «eineindeutige» Zuordnungen, sie funktionieren in beiden Richtungen. Der gewöhnliche Komparativ hat in der Umgangssprache seinen Platz, wenn es an einer Aussage noch weniger zu deuteln gibt als an einer anderen. Das weite Feld der «möglichen» und «unmöglichen» Steigerungsformen kann hier nur angedeutet werden. Immerhin: Manch ein Superlativ lässt sich besser rechtfertigen, wenn man ihn als Elativ versteht. «In bester Kellnermanier servieren» kann nur «in sehr guter» bedeuten, denn wäre die absolut beste gemeint, so müsste man es bestimmt sagen: «in der besten». Manche Redensarten sind indessen logisch «in keinster Weise» zu retten, so diese hier.

Einfach, doppelt oder gar nicht gültig

Zurück zum überflüssigen «nicht»: Ein weiteres steckt in Sätzen wie: «Kein Zeichen war dem Semiotiker Umberto Eco zu trivial …, um es nicht zu analysieren.» Liest man das streng logisch, so kommt Unsinn heraus: Kein Zeichen war so trivial, dass er es analysiert hätte. Aber ausgerechnet in einem weiteren Zeitungsnachruf auf den brillanten Denker stand: «Nichts war ihm zu klein …, um nicht seinen scharfen Geist daran zu wetzen.» Vielleicht ist auch diese Gedankenlosigkeit auf dem Weg, Teil des akzeptierten Sprachgebrauchs zu werden; mir ist allerdings keine Billigung eines Handbuchs bekannt. (Dieser Genitiv steht für «durch ein Handbuch»; der Zusammenhang zeigt, dass nicht die Billigung gemeint ist, die jemand dem Handbuch gewährt.)

Missverständlich sind Sätze mit «nicht» zuweilen, wenn unklar bleibt, wie weit sich die Verneinung erstreckt: «Er tauchte nicht eingeladen und maskiert auf.» Das könnte man so verstehen: «nicht [eingeladen und maskiert]». Also läge ein doppelter Verstoss vor, wenn es ein Maskenball nur für Eingeladene war, und man könnte deutlich sagen, der Besucher sei «weder eingeladen noch maskiert» gewesen. War er aber «[nicht eingeladen] und maskiert», dann stellt man besser um: «maskiert und nicht eingeladen».

Ein Leser hat mich einst gefragt, ob man sagen könne: «Nichts gegen Ausländer, ganz im Gegenteil», wenn man Ausländer möge. Das Gegenteil von «nichts gegen Ausländer» sei doch «alles gegen Ausländer». Schon, aber man versteht auf Anhieb, dass nicht das Gegenteil von «nichts gegen» gemeint ist, sondern das Gegenteil von «gegen». Zwar verständlich, aber logisch noch dubioser ist dieses Beispiel: «An der Behandlung der Manuskripte hat sich nichts geändert. Im Gegenteil, sie ist [dank der Archivierung] noch professioneller geworden.»

In anderen Sprachen geht es anders

Bloss als Scherz sind Redensarten wie «nur keine Bange nicht» zu geniessen. Genau diese doppelte Verneinung ist aber im Afrikaans zur Regel geworden, anders als im Niederländischen; bei Dürre am Kap gibt’s also «geen water nie». Es geht indessen nicht an, deswegen Afrikaans als unlogisch zu bezeichnen; vielmehr lautet die Verneinung der Präsenz eben «geen … nie». Gewissermassen bedeuten also «kein» und «nicht» hier je eine halbe Verneinung.

Auch die Zuordnung von «nichts» kann sich je nach Sprache unterscheiden: «You must not go» bedeutet nicht «du musst nicht gehen», sondern «du musst [nicht gehen]» – auf Deutsch also «du darfst nicht gehen». Während wir also in diesem Fall ein anderes Verb zur Hilfe nehmen, tun es die Anglofonen bei der anderen Zuordnung: «Du [musst nicht] gehen» wird zu «you don’t have to go». Der Unterschied bedeutet aber nicht, dass die eine Sprache «logischer» wäre als die andere; es gelten bloss andere Konventionen. Im angeführten Beispiel sind sie übrigens ein guter Test für Übersetzungsprogramme; bei meinem Versuch hat Microsoft Google geschlagen.2

Wie wäre es mit dem nächsten Satz? «Nur weil die Sprachen die Logik unterschiedlich handhaben, heisst das nicht, dass die eine besser ist.» Mir scheint, diese Konstruktion sei in deutschen Texten häufiger anzutreffen als früher und sie sei eine Kopie des Englischen «just because … doesn’t mean …». Aber das gilt auch im Englischen als Fehler, wegen der Logik: «weil/because» leitet eine Begründung ein, allenfalls eine zurückgewiesene – und (vermeintlich) begründet wird hier nicht «does mean / heisst», sondern die darauf folgende Behauptung. Also: «Nur weil die Sprachen die Logik unterschiedlich handhaben, kann man nicht schliessen, die eine sei besser als die andere.»

«Nur weil man die Wahlen gewonnen hat, ist man noch nicht berechtigt, die Geschichte umzuschreiben.» Dieser Zeitungssatz illustriert eine weitere Tücke von «nur weil». Mit bösem Willen kann man ihn auch so verstehen: «Der Wahlsieg ist der einzige Grund dafür, dass man die Geschichte noch nicht umschreiben darf.» Hier war’s offensichtlich nicht so gemeint, aber wenn Missverständnisse möglich sind, muss man sie vermeiden, indem man anders formuliert. Nicht aber hier: «Der Ständerat muss noch zustimmen» – das wird kaum jemand als Vorschrift für den Rat verstehen; es ist vielmehr eine Vorschrift für die Vorlage: Sie tritt sonst nicht in Kraft.

Wenn weniger mehr ist

Um bei der Politik zu bleiben: «Es ist wenig wahrscheinlich, dass der Stadtrat nicht nachzieht und den geforderten Kredit ablehnt.» Da musste man sich schon auskennen, um zu verstehen, dass «nachziehen» bedeutet, dem Kredit zuzustimmen, und nicht, ihn abzu­lehnen. Besser: «… dass der Stadtrat nicht nachzieht, sondern den Kredit ablehnt.» Noch besser, ohne doppelte Verneinung: «Es ist wahrscheinlich, dass der Stadtrat nachzieht und den geforderten Kredit bewilligt.» Erst recht sind dreifache Verneinungen zu vermeiden: «… dass kein Tag vergehe, ohne dass sie nicht ein Leben retteten.» Entweder hat sich eine Verneinung zu viel eingeschlichen, oder es geht – viel zu kompliziert – um völlig unterbeschäftigte Lebensretter.

Nicht mit strenger Logik darf man Titel wie diese lesen: «Zu ­wenig Schlaf macht krank» oder «Weniger Bierdurst setzt Carlsberg zu». Niemand wünscht, es möge mehr Schlaf kommen und krank­machen, und niemand wird vermuten, Bierdurst an sich setze der Brauerei zu, nach dem Motto «Kunde droht mit Bestellung», nur jetzt weniger als sonst. Wenn in einem Konzertprogramm steht «wir danken unserem Publikum für möglichst wenig Ruhestörung», so sind die Musiker kaum für die Ruhestörung dankbar, weit eher für deren geringes Ausmass.

Auch bei «mehr/weniger als» wird die mathematische Logik zuweilen herausgefordert: «Der günstigste Civic schlägt mit 19 900 Franken zu Buche; für die zweithöchste Version Sport Plus werden 10 800 Franken zusätzlich fällig. Mehr als angemessen angesichts des Gebotenen.» Wie nun: Ist der Preis zu hoch, gemessen am Wert des Vehikels? Oder wird so viel geboten, dass «angemessen» den günstigen Preis noch zu wenig lobt? Wahrscheinlich Letzteres, sonst stünde wohl: «mehr als angesichts des Gebotenen angemessen». Ein Klassiker in ähnlicher Zweideutigkeit ist «er verdient mehr, als er verdient»; da wird bewusst offengelassen, welche Bedeutung von «verdient» zuerst kommt.

Wo missverstehen verlangt wird

Mehrdeutige Wörter eignen sich gut dazu, falsche Fährten zu legen: «Der Säufer ist wirtschaftskundig.» An einen Ökonomen denken dabei die wenigsten; echtes Missverstehen ist eher selten. Das gilt sogar dann, wenn ein Wort direkt entgegen seiner angestammten Bedeutung verwendet wird: «Offenbar» müsste eigentlich – wie «offensichtlich» – etwas bezeichnen, das offen daliegt, doch wird es meistens für Rückschlüsse auf nicht direkt Sichtbares verwendet: «An einen Zufall glauben die SBB offenbar nicht. Sie wollen handeln – obwohl die Unfallursachen noch nicht geklärt sind.» Auch was «sicher» ist, ist es oft nicht: «Sicher kommt er morgen.» Diese Beteuerung soll nur den beruhigenden Eindruck erwecken, dieses Stück Zukunft sei so sicher wie das Amen in der Kirche. Dabei ist es nichts weniger als sicher.

Wie logisch ist also Deutsch? Rein logisch verbietet sich diese Frage. (Ja, verbietet sie sich denn selber?) Denn weil man «logisch» nicht steigern kann, kann es auf «wie logisch?» keine sinnvolle Antwort geben. Aber wenn man die Frage im landläufigen Sinn versteht, lässt sie sich beantworten: Man kann Deutsch – wie wohl jede Sprache – logisch korrekt verwenden, aber man wird durch die Sprachregeln nicht immer dazu gezwungen. Ich kenne umgekehrt keinen Fall, in dem die Regeln einen logischen Widerspruch vorschreiben. Die auf S. 49 zitierte Duden-Empfehlung, statt «bevor» am Satzanfang «bevor nicht» zu sagen, wenn «solange nicht» gemeint ist – diese Empfehlung ist ja (noch) keine Regel. Anders im Französischen: «Il faut agir avant qu’il ne soit trop tard» wäre ohne das zweite «ne» falsch, obwohl dieses widersinnig wirkt. Logisch ist es kaum erklärbar, wohl aber psychologisch: Möge es nicht zu spät sein. Auch der Subjonctif spricht für diesen Wunsch. Sprachen danach zu vergleichen, wie strikt sie es mit der Logik nehmen, wäre interessant. Wer Forschungsarbeiten darüber kennt, ist freundlich gebeten, mich auf sie hinzuweisen.

Wie logisch ist also Deutsch? Rein logisch verbietet sich diese Frage. (Ja, verbietet sie sich denn selber?) Denn weil man «logisch» nicht steigern kann, kann es auf «wie logisch?» keine sinnvolle Antwort geben. Aber wenn man die Frage im landläufigen Sinn versteht, lässt sie sich beantworten: Man kann Deutsch – wie wohl jede Sprache – logisch korrekt verwenden, aber man wird durch die Sprachregeln nicht immer dazu gezwungen. Ich kenne umgekehrt keinen Fall, in dem die Regeln einen logischen Widerspruch vorschreiben. Die auf S. 49 zitierte Duden-Empfehlung, statt «bevor» am Satzanfang «bevor nicht» zu sagen, wenn «solange nicht» gemeint ist – diese Empfehlung ist ja (noch) keine Regel. Anders im Französischen: «Il faut agir avant qu’il ne soit trop tard» wäre ohne das zweite «ne» falsch, obwohl dieses widersinnig wirkt. Logisch ist es kaum erklärbar, wohl aber psychologisch: Möge es nicht zu spät sein. Auch der Subjonctif spricht für diesen Wunsch. Sprachen danach zu vergleichen, wie strikt sie es mit der Logik nehmen, wäre interessant. Wer Forschungsarbeiten darüber kennt, ist freundlich gebeten, mich auf sie hinzuweisen.

© Daniel Goldstein (Sprachspiegel – www.sprachverein.ch)

Bilder müssen unlogisch sein

Geradezu unlogisch wäre es, Sprachbilder und Sinnübertragungen als unlogisch zu kritisieren, nur weil sie wörtlicher Lesart widersprechen: Das ist ja just ihr Wesen. Ein weltbewegendes Ereignis hat – wenn kein Asteroid einschlägt – keinen Einfluss auf die astronomische Bahn des Planeten, sondern nur auf viele, die ihn bewohnen. Wenn im schwimmenden Fett Kartoffelschnitze gebraten werden sollen, dürfen diese nicht auf dem Pfannenboden bleiben und so dem Fett ermöglichen, auf ihnen zu schwimmen. Dass die stehende Ovation nicht selber steht, versteht sich von selbst. Wenn es, wie in einem Zeitungstitel über einen Sortimentswechsel, «dem XY-Bier an den Kragen geht», kann man das witzig finden oder eben nicht. Der «vierstöckige Hausbesitzer» indessen gilt nicht als zulässige Stil­figur, denn die Sinnübertragung innerhalb eines zusammen­gesetzten Wortes ist nicht gebräuchlich. dg



1Der grüne Heinrich, 1. Teil, 17. Kapitel (Gesammelte Werke, Th. Knaur, Berlin/Leipzig o. J., S. 152)

2Vgl. Netztipp 23 unter www.sprachverein.ch/links1.htm