«Sprachspiegel», Juni 2011

Die echten Anglizismen sind die versteckten

Hinter manchen Redewendungen, die in jüngerer Zeit im Deutschen aufgetreten sind, steckt ein englisches Original

Von Daniel Goldstein

«Wenn die Kids gamen können, sind sie auf Wolke sieben.» Wo steckt in diesem Satz der Anglizismus? Nicht in Kids, das ist einfach ein englisches Wort, welches wir als Fremdwort verwenden, zuweilen im Sinn von «Kind, das von Werbung zum Konsum verleitet werden kann». Der Anglizismus steckt auch nicht in gamen; dieses Verb, vom Fremdwort «Game» für «Spiel am Bildschirm» abgeleitet, ist bereits zum Lehnwort avanciert und wird deutsch konjugiert. Nein, die nummerierte Wolke ist ein dem Englischen eigener Ausdruck, also ein eigentlicher Anglizismus: to be on cloud nine. Obwohl die Zahl abweicht, ist anzunehmen, dass die Wolke sieben von dort kommt, noch mit einem Anklang an den «siebten Himmel». Diese herkömmliche Steigerungsform von «überglücklich» ist selten geworden; ein Gewinn ist die abgezählte Wolke nicht.

Der Duden bezeichnet als Anglizismus eine «engl. Spracheigentümlichkeit in einer anderen Sprache». Nun kann man natürlich jedes einzelne Wort als Eigentümlichkeit einer Sprache verstehen, und in diesem Sinn machen diverse Publikationen und Websites Jagd auf Anglizismen, gern unter dem Stichwort Denglisch. Hier soll es nun nicht um solche Wörter – oft aus der Informatik oder dem Geschäftsleben – gehen, die je nachdem als nötig, nützlich, ärgerlich oder schädlich empfunden werden. Vielmehr geht es um Englisch im Deutschpelz, also Wendungen, die mit deutschen Wörtern englische Ausdrücke nachbilden. Dafür kann es gute Gründe geben; die Anlehnung an den Wolf im Schafspelz soll also nicht von vornherein eine Verurteilung bedeuten.

Wer macht da Sinn?

Die Übernahme englischer Wörter oder Redewendungen kann sinnvoll sein – macht sie also zuweilen Sinn? Sinn machen ist schon von vielen Sprachhütern angeprangert worden, und dass es seine heutige Verbreitung der Anlehnung ans englische to make sense verdankt, ist kaum zu bezweifeln. Allerdings hat sich der Hamburger Anglist Anatol Stefanowitsch in seinem (damals Bremer) Sprachblog vehement für «Sinn machen» ins Zeug gelegt. Er hat jahrzehntealte Beispiele gefunden – ein Leser steuerte gar ein Lessing-Zitat bei –, und er hat die Fundstellen kenntnisreich in deutsche Sinngefüge eingebunden.

Allerdings ändert dies nichts daran, dass in den weitaus meisten Fällen anstelle von «Sinn machen» mindestens so gut das herkömmliche «sinnvoll sein» stehen kann, oder auch «einen Sinn haben». Denn der Sinn, den eine Sache hat oder nicht hat, wird in den wenigsten Fällen vor den Augen und Ohren des lesenden oder zuhörenden Publikums «gemacht», also hergestellt. Meistens geht es um Sinnfindung, nicht um Sinnstiftung. Daher ist auch die vermeintlich «deutschere» Ersatzkonstruktion «Sinn ergeben» selten am Platz.

Der Job ginge ja noch

To make wird im Englischen ausgiebiger verwendet als im Deutschen «machen». Das geläufige to make a good job wirkt als eingedeutschtes einen guten Job machen unbeholfen: Man macht seine Arbeit gut, und eine bestimmten Aufgabe erledigt man gut. Das Wort Job allein füllt ganz gut die im Deutschen bestehende Lücke zwischen einem einmaligen Auftrag und einer beruflichen Lebensstelle – oder Lebensabschnittstelle, wie man heute wohl sagen muss. Wer dazwischen von Job zu Job hüpft, jobbt eben, und wenn er einen guten Job findet, bleibt er etwas länger und macht seine Sache dort gut – aber macht er dabei einen guten Job?

Auch Liebe machen macht nicht gerade an; Sex haben freilich noch weniger. Mit diesen Importen aus dem Englischen (oder im ersten Fall aus dem Französischen?) zahlt das Deutsche vielleicht den Preis dafür, dass es vor lauter schamhaften Blümchen und Bienchen das erotische Vokabular vernachlässigt hat. Es könnte ja sein, dass zwischen verschiedenen Sprachen auch der Umgang mit der Liebe den Unterschied macht. Oder doch besser: ausmacht? Denn der Unterschied wird anhand dieses Beispiels ja eher festgestellt als fabriziert. So konkret kann man es dagegen verstehen, wenn in einem Bericht über den Strombedarf von Bahnen im Tunnel und draussen steht: «Der Luftwiderstand macht den Unterschied.»

Auch das Wort Philosophie hat seine jüngste Bedeutungserweiterung wahrscheinlich dem Englischen zu verdanken, wo schon länger von der philosophy einer Organisation die Rede ist, wenn es um ihr Leitbild geht. So warf neulich der Präsident eines Fussballklubs dem entlassenen Trainer vor, dieser habe «die Philosophie des Vereins nicht mitgetragen», sondern «fertige Spieler» einkaufen wollen. Immerhin scheint es also bei dieser «Philosophie» um die Nachwuchs-Ausbildung zu gehen und nicht um Banalitäten, wie sie zuweilen ebenfalls «philosophisch» verbrämt werden.

Falsche Freunde stellen Fallen

Der Nachweis, eine bestimmte Wendung komme aus dem Englischen, ist jeweils schwer zu erbringen – und auch nicht besonders wichtig. Interessanter ist die Frage, ob die Übernahme, wenn es denn eine ist, dem Deutschen etwas bringt, seine Ausdrucksmöglichkeiten erweitert und nicht etwa eine Wortverwendung verdrängt, um die es schade ist. Ultimativ etwa konnte man ganz gut gebrauchen, wenn eine Forderung mit einem Ultimatum verknüpft war. Dann erlebte das Wort eine Umdeutung, um dasselbe auszudrücken wie das englische ultimateder «ultimative Popsong» ist nicht etwa mit einer Drohung verknüpft, sondern das Nonplusultra seiner Gattung. Da hätte man besser gleich das Original übernommen und von einem «ultimaten Popsong» geredet; damit stünde «ultimativ» weiterhin für Ultimaten zur Verfügung, ohne Missverständnisse heraufzubeschwören. Das Adjektiv «ultimat» ist mir in einem älteren deutschen Text tatsächlich schon begegnet.

Vermutlich ist «ultimativ» zu seiner neuen Bedeutung gekommen, weil es sich als falscher Freund von «ultimate» anbot. Falsche Freunde sind Wörter, die in verschiedenen Sprachen gleich oder ähnlich klingen, aber nicht dasselbe bedeuten. Oder, wie man heute oft lesen kann, «nicht dasselbe meinen». Ich meine aber, Wörter selber können gar nichts meinen – man kann bloss mit ihnen dies oder das meinen. To mean aber kann sowohl «meinen» als auch «bedeuten» bedeuten, und ich sehe keinen guten Grund, diese Bedeutungen auch im Deutschen zu vermischen.

Aufgrund ihrer engen Verwandtschaft kennen das Deutsche und das Englische eine grosse Vielfalt an falschen Freunden, und besonders gern tauchen diese in Bereichen auf, zu denen der angelsächsische Kulturkreis viel beiträgt. So liest man über ein Videospiel: «Unter Knopfgedrücke windet sich der Charakter aus dem Helikopterwrack.» Dieser character muss wohl eine Figur sein, und ihren Charakter hat der Absturz vielleicht gestärkt. Nebenbei stellt sich die Frage, ob sie die Knöpfe wirklich selber drückt, oder ob das die Aufgabe des Spielers ist.

Regulär in der Baracke

Wenn gar Hacker (ob deutsch oder englisch ausgesprochen) die Knöpfe drücken, wirds gefährlich: «Die Angriffe waren sehr geschickt, das können keine regulären User organisieren.» Also müssen es irreguläre Anwender sein, was ja bei unrechtem Tun zu erwarten ist – nur war es hier wohl nicht gemeint. Vielmehr waren es andere als die regular users, als die gewöhnlichen wie Sie und ich: aufs Hacken spezialisierte nämlich. Solche treiben sich leider auch in sozialen Netzwerken herum; diese wiederum sind nicht «sozial» in einem auf deutsch gebräuchlichen Sinn, sondern eher gesellig.

Kämpfer, ob reale oder virtuelle, sind oft in Baracken untergebracht. Vielleicht handelt es sich tatsächlich um Gebäude dieses Typs, meist sind es aber besser gebaute, jedoch schlecht übersetzte barracks, mithin Kasernen. Dies ist ohne Weiteres anzunehmen, wenn das Wort in einem Bericht aus englischsprachigen Gebieten oder Quellen steht. Vorsicht ist auch geboten, wenn etwa in einer Reportage aus Indien von Farmern die Rede ist – es wird auch dort Grossbauern geben, die unserem Bild eines Farmers entsprechen, aber gemeint sind meistens Kleinbauern in misslichen Verhältnissen. Ihre Probleme muss man, wie ein Schweizer Bankier in anderem Zusammenhang gern sagt, adressierennicht etwa mit Etiketten versehen, sondern angehen, sich ihnen zuwenden, to address.

Konservative im Hafen

Wenn es ihren Geschäftsplänen dient, geben Bank- und andere Fachleute auch gern «konservative Schätzungen» ab – conservative im Sinn von zurückhaltend, vorsichtig, vielleicht zudem aufs Erhalten bedacht, aber das ist in der Regel nicht gemeint. Höchstens ist es uneingestanden bezweckt, etwa wenn die vorsichtige Schätzung Vermögenswerte betrifft, die im sicheren Hafen Schweiz liegen. Das ist ein eingängiges Bild, aber wir haben eigentlich schon den sicheren Hort. Genau der ist gemeint, wenn auf Englisch von safe haven die Rede ist – mit einem alten Wort für Hafen, das längst von port abgelöst worden ist, ausser in der sinnbildlichen Bedeutung.

Wer Wendungen aus dem Englischen übernimmt, sollte sich überlegen, was die Wörter im konkreten Fall bedeuten. Wenn am Rande eines Gipfeltreffens zwei Staatsoberhäupter ein Privatgespräch führen, so reden sie zum Beispiel über ihre Familien; in einem private talk aber sind sie zwar unter sich, können aber in dieser vertraulichen Besprechung durchaus das Thema der Sitzung behandeln. Wenn jemand es hasst, sich die Hände schmutzig zu machen, ist dann wirklich Hass im Spiel oder nur Abscheu? Und müssen wir tatsächlich das Risiko nehmen, vor dem Denken zu reden – ist es nicht schon gefährlich genug, dieses Risiko einzugehen?

Tücken der Übersetzung

Bei to take a risk ist nun kein falscher Freund am Werk, nur eine ungeschickte wörtliche Übersetzung. Dies ist vermutlich auch bei sich anfühlen der Fall, etwa in den schwierigen, auf einschlägigen Websites erörterten Fragen: «Wie fühlt sich Liebe an?» oder «Wie fühlt es sich an, wenn man Gallensteine hat?» Es ging nicht, wie man im zweiten Fall vermuten könnte, um das Gefühl in den Fingerspitzen beim Abtasten, sondern um Befindlichkeiten: Was für ein Gefühl ist es, verliebt zu sein und/oder Gallensteine zu haben? Ein Blick in die Schweizer Mediendatenbank SMD zeigt, dass bis in die frühen Neunzigerjahre «sich anfühlen» nur für unmittelbare Sinneseindrücke verwendet wurde – ausser in einem Sonderbestand mit Dossiers zu Popmusik. Es scheint, als hätte sich die übertragene Verwendung aus diesem Bereich heraus verbreitet, somit wohl als Übersetzung von to feel like.

Es ist ein schönes Gefühl, hier quasi den rauchenden Colt gefunden zu haben, ein von frischer Tat zeugendes Indiz. Diese Übersetzung überzeugt durch Originalkolorit. Dass sie sich für das sinnbildliche smoking gun eingebürgert hat, und nicht etwa «rauchende Flinte», ist wohl dem Film «Gunsmoke» zu verdanken, der auf Deutsch als «Rauchende Colts» lief. Vielleicht ebenfalls aus dem Kino stammt die gelegentlich auftretende Verwechslung von Kopie und Exemplar. Selbst wo ein Originalfilm läuft, ist es technisch gesehen eine Kopie, und auf Englisch bedeutet copy ohnehin auch eines von vielen Originalen, etwa eines Buches. So war denn in hiesigen Zeitungen zu lesen, eine New Yorker Bibliothek habe vom George-Washington-Museum «eine Kopie» jenes Buches erhalten, das der Präsident einst zurückzugeben vergass. Damit hätte sich die Bücherei kaum begnügt; da das von Washington behändigte Originalexemplar verschwunden war, bekam sie ein anderes der gleichen Ausgabe.

Jetzt wirds brandgefährlich

Ein Spezialfreund ist der brand, der im Englischen via Brandmal zum Markenzeichen geworden ist und sich als solches zum deutschen Brand gesellt hat, der unverändert Feuer bedeutet. So muss man dem Zusammenhang und allenfalls der Aussprache entnehmen, was gemeint ist. An sich sind vieldeutige Wörter noch kein Unglück, aber in diesem Fall ist kein Sinngewinn gegenüber «Marke» erkennbar, und mitten im Satz zur englischen Aussprache wechseln zu müssen, ist mühsam. Oder gar mitten im Wort: brandneu müsste eigentlich «buändneu» lauten.

Geradezu elegant ist dagegen im Duden die Unterscheidung zwischen dem deutsch ausgesprochenen Dummie für Dummkopf und dem englisch klingenden Dummy für Attrappe und dergleichen, auf Deutsch dank Rechtschreibreform auch in der Mehrzahl mit y. Englische dummies dagegen tragen beide Bedeutungen und dazu noch einige andere wie etwa Schnuller – für Dummies schwer zu lernen, auch wenn diese neudeutschen Dummköpfe ihren englischen Ursprung mit der Endung verraten. Jedenfalls im Plural, denn ein einzelner englischer dummy unterscheidet sich vom junkie und vom groupie. Auch ein y am Schluss beweist nicht immer den englischen Ursprung: Handy als Mobiltelefon ist made in Germany, aber unverkennbar mit der Absicht, englisch zu klingeln.

Zurück zu den Wurzeln

So klingt es auch, jedenfalls für empfindliche Ohren, wenn jemand Kilos verliert statt loswird, willkommen zu statt «bei» sagt, eine Sache ersetzt mit einer anderen statt durch diese – oder dem Sprachmahner zuruft: Vergiss es! Denn das englische forget it entspricht eigentlich dem deutschen «schlags dir aus dem Kopf», das zwar treffender und farbiger, aber auch ein bisschen länger und kein bisschen modisch ist. «Leider kann man dies vergessen», schrieb vor Kurzem der deutsche Ex-Aussenminister Joschka Fischer und meinte natürlich nicht die deutsche Redensart; vielmehr ging es um eine Führungsrolle seines Landes in Europa.

Auch weitere englische Wendungen haben, zumindest vereinzelt, ihren Weg ins Deutsche gefunden, so vom Haken (off the hook) statt «aus dem Schneider». Das kann man immerhin hübscher finden. Aber wenn der Chef einer Grossbank «die Abhängigkeit vom Dollar über die Zeit vermindern» will, wird man das mit over time übersetzen müssen und dann zurück: «mit der Zeit». Schon weit verbreitet ist zurück auf Feld eins für «an den Anfang»: ein schönes Bild aus dem auch uns vertrauten «Leiterlispiel» – warum nicht? Und der Plan B klingt griffiger als der «Ausweichplan». Aber muss die Abrechnung, wenn das Spiel aus ist oder der Plan ausgeführt beziehungsweise gescheitert, wirklich am Ende des Tages erfolgen? Für at the end of the day passt meistens «unter dem Strich» oder «letzten Endes» gerade so gut. Irgendwann aber wird man vielleicht auch hören: «Wenn alles gesagt und getan ist.»

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)