«Sprachspiegel», Feb. 2012
Schweizer Stallgeruch – aber mit Mass
Wie sich Helvetismen in Zeitungsartikeln sinnvoll einsetzen lassen
Von Daniel Goldstein
Wie schweizerisch darfs denn tönen? Diese Frage stellt sich allen, die in der Schweiz stilbewusst an Texten arbeiten. Aber auch: Wie schweizerisch muss es klingen? Im Alltag und unter Zeitdruck, wie etwa auf einer Zeitungsredaktion, bleiben diese Fragen freilich oft ungestellt, und so liest man denn Sätze wie «Die Quecksilberkügeli müssen mit Handschutz eingesammelt werden» oder «Millionen Kunden posten ihre Bücher bei Amazon».
Da sind die Helvetismen leicht zu erkennen: die Endung «-li» und das mundartliche «posten» (neuerdings besteht Verwechslungefahr, zumal wenns um Online-Einkäufe geht: englisch ausgesprochen, bedeutet «posten» die Veröffentlichung auf einer Internet-Plattform). Doch es gibt auch Wendungen, deren helvetischer Charakter den meisten Schreibenden nicht bewusst ist. Dazu gehört «tönen», wenn es so verwendet wird wie in der Eingangsfrage; «klingen» klingt gewissermassen deutscher.
Wenn Publikumszeitungen und -zeitschriften in der deutschen Schweiz Helvetismen verwenden oder sogar vorziehen, so ist das durchaus korrekt, soweit es sich um standardsprachlich akzeptierte Wendungen handelt. Sogar eindeutig mundartliche Wörter sind manchmal angebracht, nur sollte es dafür jeweils einen bestimmten Grund geben. Eine gute Faustregel ist es, ohne Bedenken zu verwenden, was im Duden-Band Rechtschreibung als «schweizerisch» (oder ohne regionale Zuordnung) verzeichnet ist. Steht aber «schweiz. mdal.», so sollte man sich überlegen, ob das Mundartwort im Einzelfall passt.
Mundartlich, wo es passt
Das oben zitierte «posten» etwa trägt das Mundart-Siegel «mdal.». Beim Online-Buchhandel wirkt das Wort deplatziert, beim dörflichen Wochenmarkt passt es. Um zu verdeutlichen, dass man das Mundart-Wort absichtlich verwendet, empfehlen sich Anführungszeichen. Oft finden sich solche Wörter in Zitaten, dann braucht man sie nicht noch eigens anzuführen: Es ist ja klar, dass die Marktfrau schweizerdeutsch geredet hat, auch wenn man den Rest ihres Satzes in reiner Hochsprache wiedergibt.
In der neuen Duden-Publikation «Schweizerhochdeutsch»1 sind nur schweizerische Besonderheiten enthalten, rund 3000 an der Zahl. Liegen sie am Rand der Standardsprache, so wird nicht die Kennzeichnung «mdal.» verwendet, sondern «mundartnah» – auch das ein Wink, dass man die entsprechenden Wörter mit Bedacht verwenden sollte. Meist entsprechen die Kennzeichnungen jenen im Rechtschreibungs-Duden. So gilt einerseits «posten» als «mundartnah», anderseits steht etwa «zügeln» für «umziehen» ohne Einschränkung und passt damit zu «schweizerisch» (ohne «mdal.») im Duden.
Es gibt auch Abweichungen: im Duden kommt «Güggeli» ohne Mundartverweis aus, anders als in «Schweizerhochdeutsch», das als Variante ohne Mundartnähe «Poulet» kennt. Dieses wiederum figuriert im Duden als «junges Masthuhn» ohne regionale Einschränkung. Im ausführlichen «Schweizer Wörterbuch» von Kurt Meyer2 war das «Güggeli» noch nicht «mundartnah», dagegen «zügeln» noch «mundartnah bis normalspr.».
«Grüssli» aus der Schweiz
Steht ein Wort auf «-li» in keinem dieser Wörterbücher, so ist besondere Vorsicht geboten: In deutschen Augen könnte es das Vorurteil bestärken, man brauche bloss überall diese Endung anzuhängen, und schon rede man «schweizerisch». Bei den zitierten «Quecksilberkügeli» war kein mundartlicher Zusammenhang zu erkennen, also hätten «-kügelchen» besser gepasst. Etwas anderes ist es natürlich, wenn eine Ortsbezeichnung vorliegt wie «Bauschänzli» in Zürich.
Andere Schweizer «Müsterli» sind nur mit Anführungszeichen zu geniessen, so das «Mümpfeli, das in keinem der beiden zitierten Wörterbücher steht. Wohl aber findet es sich im Online-Duden (duden.de) als «schweizerisch mundartliches» Synonym zu «Häppchen». Auf gar keinen Fall indessen sollten Wörter auf «-li» in der Mehrzahl ein Schluss-s erhalten, wie es der Duden zulässt. Es gehört sich ja auch in der Mundart nicht, selbst wenn es sich dem Vernehmen nach da und dort eingeschlichen hat. «Schweizerhochdeutsch» ist konsequent: Der Plural lautet z. B. «Güggeli», einen andern gibts nicht.
Ob man in einer Restaurantkritik schreibt, das Lokal biete geniessbare Güggeli, Poulets, Backhähnchen, Backhendl oder gar Broiler an, hängt sehr von der Art des Etablissements ab, und diese wiederum sollte sich auch darin spiegeln, unter welchem Namen das Gericht auf der Speisekarte aufgeführt ist. Ganz allgemein kommt es bei der Wortwahl auf die gewünschte Stilebene an, und bei dieser auf das Zielpublikum und die Wirkung, die man bei ihm erzielen will. Je nachdem ist mehr oder weniger Mundartnähe angezeigt.
Sicher ist die Mundartlichkeit dann zu gross, wenn sie die Aussage ins Gegenteil verkehrt: «Die Beziehung zu ihrer leiblichen Schwester blieb ihr vergönnt.» Gemeint war «missgönnt» oder hier besser «versagt». Meistens wirkt auch der Genitiv-Ersatz mit «von» eher unbeholfen als leserfreundlich. Ein besonders pikantes Beispiel: «Zurzeit sind die Schaufenster vom Juwelier Bucherer ausgeräumt.» Da scheint der Inhaber selber Hand angelegt zu haben. Man könnte die Konstruktion mit «von» als «schweizerischen Genitiv» bezeichnen – quasi das Gegenstück zum vorangestellten «sächsischen Genitiv» (Bucherers Schaufenster).
Einheimisches Schaffen
In Texten, die sich vorwiegend an eine schweizerische Leserschaft richten, dürfen gängige Helvetismen bedenkenlos verwendet werden – besonders solche, die hierzulande den wenigsten bewusst sind, etwa einlässlich, allfällig, Tobel, Ende Jahr, brauchen (im Sinn von «nötig haben»). Auch die meisten Berufsleute ziehen es vor, beim schweizerischen Namen genannt zu werden, wenn in Deutschland oder Österreich ein anderer üblich ist. Wer hier schafft (Duden: «landsch. für arbeiten»), ist lieber Redaktorin als Redakteurin, Coiffeuse als Friseurin, Abwart als Hausmeister. Unter Letzterem versteht man in der Schweiz eher den Besitzer; umgekehrt denkt man andernorts vielleicht an einen seltsamen Beruf, wenn vom Feldstecher die Rede ist, nicht vom Fernglas.
Es gibt auch keinen Grund, für den schweizerischen Hausgebrauch aufs hier gebräuchliche Geschlecht zu verzichten, wenn es von jenem in Deutschland abweicht, aber im Duden als Variante verzeichnet ist: der Final statt das Finale, die Hektare statt der Hektar, das statt die Malaise. In der Schweiz unterscheidet man auch «den Drittel» von «das Drittel» (eines Eishockeymatches, der dafür selber männlich ist) und «den Viertel» von «das Viertel» (das man ohnehin lieber Quartier nennt). Und man sagt «die Place Pigalle» statt «der» – schliesslich kann man französisch. Allerdings verfolgen Schweizer wie Deutsche «die Tour de France», obwohl «la tour» ein Turm ist, im Unterschied zu «le tour» – aber die Tour ist in der deutschen Sprache nun mal weiblich eingebürgert worden.
Töne «von draussen rein»
«Nun mal» mag beim Lesen schon recht «deutschländisch» wirken. Jedenfalls ist es umgangssprachlich, und da kommt so manches «von draussen rein». In jüngerer Zeit sind es etwa die «Jungs», selbst schon in (vermeintlichem) Schweizerdeutsch zu hören. Vielleichts ists ein Sprachwandel, wie er ja zum Leben auch des Dialekts gehört, vielleicht geht die Mode wieder vorbei. Man braucht sie ja nicht noch schriftlich zu fördern; vielmehr darf man sich daran erinnern, dass sogar die manierlichen «Jungen» in der Schweiz eigentlich Buben oder Knaben sind, später etwas altmodisch Burschen oder Jünglinge.
Besonders aufgesetzt wirkt es auf viele Leserinnen und Leser in der Schweiz, wenn systematisch der in Deutschland (vermeintlich) gebräuchlichen Variante der Vorzug gegeben wird, etwa bei den Berufsbezeichnungen oder bei «nach draussen gehen» für «hinaus», «ab und an» für «ab und zu», «aussen vor lassen» (Duden: «nordd. für unberücksichtigt lassen»). Geradezu grotesk wird es, wenn solche Formen beim Übersetzen von Zitaten aus dem Schweizerdeutschen eingeschmuggelt werden. So wirkt es unglaubwürdig, wenn ein Polizist über eine brenzlige Situation sagt: «Das fühlt sich nicht gut an.» Eine Übersetzung sollte auch nicht gehobener ausfallen als das Original, wie etwa beim Dialektschauspieler, der über eine Szene erzählt: «Dann gehe ich pfeifend von dannen.»
Nach vielen Jahren Redaktionspraxis scheint es mir, mindestens so viel Beachtung wie die Frage «Wie schweizerisch darf es klingen?» verdiene die entgegengesetzte: «Wie schweizerisch muss es tönen?»
© Daniel Goldstein (sprachlust.ch – Beispiele schweizerisch und deutsch gefärbter Zeitungssprache: sprachlust.ch/Was/Happ/Kap2)
1Schweizerhochdeutsch. Wörterbuch der Standardsprache in der deutschen Schweiz. Herausgegeben vom Schweizerischen Verein für die deutsche Sprache (SVDS). Duden-Verlag (Bibliographisches Institut), Mannheim 2012. 96 Seiten, ca. Fr. 9.80
2Kurt Meyer. Schweizer Wörterbuch. So sagen wir in der Schweiz. Mit einem Beitrag von Hans Bickel. Huber, Frauenfeld 2006. – Weitere einschlägige Wörterbücher sind in «Schweizerhochdeutsch» aufgeführt.