«Der Bund», 9.8.2004
Kulturkampf ist fehl am Platz
In Deutschland ist der Streit um die neue Rechtschreibung dort angelangt, wo er ganz sicher nicht hingehört: auf der parteipolitischen Bühne. Da macht sich in Niedersachsen Ministerpräsident Wulff (CDU) für die Annullierung der Reform stark, die er als Teil der «Verhunzung» unserer Sprache ansieht – und muss sich aus Rheinland-Pfalz von seinem SPD-Amtskollegen Beck «einfältigen Populismus» vorhalten lassen. Namhafte Schriftsteller haben sich, zum Teil mit schrillen kulturpessimistischen Tönen, von Anfang an der Reform verweigert, und in der Presse erhalten sie wachsende Gefolgschaft.
Kippt also die Reform, statt in einem Jahr definitiv zu werden? Können sich alle freuen, die ob der Mühsal der Umstellung die neuen Regeln ins Pfefferland wünschen? Höchstwahrscheinlich freuen sie sich zu früh, denn so schwer der Tanker der Reform in Fahrt zu bringen war, so schwer wird er nun zu stoppen sein, nachdem er mit hohem Wellenschlag durch Verwaltungen, Schulen und unzählige Schriftwerke gepflügt ist.
Doch statt die Reform nun einfach als Schicksal hinzunehmen, lohnt sich ein zusätzlicher Aufwand, um den Tanker auf Kurs weg von manchen Klippen zu bringen und die Wogen zu glätten – also die neue Rechtschreibung auch für die anders eingeschulten Generationen leichter fassbar zu machen. Dass sie fürs Lernen von der Pike auf besser geeignet ist, hat sich in der Praxis bereits gezeigt. Ohnehin ist sie besser als ihr Ruf: Vieles, was den neuen Regeln angekreidet wird, entspringt lediglich übereifriger, falscher Anwendung.
Die alte Rechtschreibung ab August 2005 wie geplant für falsch zu erklären, ist überflüssig: Sie ist dann einfach alt. Die neue aber wird sich umso besser durchsetzen, je schneller sie von einigen Widersprüchen zwischen ihren Regeln – oder zwischen diesen und den Wörterlisten – befreit wird. Und je schneller der Streit um die Rechtschreibung verschwindet, desto besser können sich Sprachbewusste wieder jenen Anliegen zuwenden, die für gutes Deutsch wichtiger sind: Klarheit und Eleganz etwa.
© «Der Bund»/Daniel Goldstein