«Der Bund», 12. 7. 2013

Der «böse» Duden und seine Quellen

Spott und Schelte hagelten auf die Duden-Redaktion ein, als sie Anfang Juli die neue Auflage ihres Wörterbuchs «Rechtschreibung» vorlegte. Die einen missbilligten englische Wörter wie «Flashmob» in der vom Verlag verbreiteten kleinen Auswahl aus den 5000 Neueinträgen, andere (oder dieselben) störten sich an flapsigen Ausdrücken wie «Compi», bundesdeutschen wie «bespassen» oder weiblichen wie «Vorständin». Da geht es der Redaktion schier wie dem sprichwörtlichen Boten, der erschlagen wird, weil seine Botschaft missfällt.

Dabei bedeutet die Aufnahme in den Duden keinerlei Werturteil über die Zulässigkeit, Wünschbarkeit oder gar Schönheit eines Worts, und schon gar keine amtliche Anerkennung. Bei der Rechtschreibung hält sich der Duden an die amtlichen Regeln, hat aber seine Rolle als halbamtlicher Schiedsrichter in Zweifelsfällen 1996 eingebüsst. Seine Wortauswahl ist allein für Scrabble-Spieler verbindlich, die sich an die Regel halten, bloss Duden-Einträge zu verwenden. Die Redaktion beurteilt nur, ob ein Wort «häufig» und «breit gestreut» vorkommt, und es darf auch «keine Eintagsfliege» sein, wie der Verlag erklärt. Bei den – beliebig vermehrbaren – Wortverbindungen ist es auch ein Kriterium, ob sie besondere Rechtschreibprobleme bereiten.

Die Beurteilung des Vorkommens beruht auf dem Duden-Korpus – einer Datenbank von elektronisch erfassten Texten. Sie umfasst Bücher, Zeitungen und Zeitschriften ab 1995 und ist mittlerweile auf mehr als 2 Milliarden Wörter angeschwollen, inklusive Abwandlungen und Wiederholungen. Zählt man nur die Grundformen, so sind es 9 Millionen verschiedene Wörter – darunter indessen viele, die bloss vereinzelt auftauchen. Auch unter den 140 000 Einträgen, die das Standardwerk jetzt umfasst, ist längst nicht alles gängige Münze, und die Frage ist berechtigt, ob die Redaktion mit 10 000 Neuaufnahmen in den zwei Neuauflagen nach 2006 nicht allzu grosszügig war.

Oder ob sie bei der Streichung ausser Gebrauch geratener Wörter strenger hätte sein sollen. Etwa 100 waren es diesmal; ausdrücklich genannt wurden nur 32: Adrema, adremieren, Alwegbahn, antedatieren, Autocoat, beziehentlich, borgweise, Buschklepper, Diligence, Diskkamera, Dragonade, Füsillade, halbschürig, Makartbouquet, Makartbukett, Manggetreide, Mistigkeit, Mohammedanismus, Moskowitertum, münzmässig, Plattei, schnadern, Schnatz, Stickhusten, Suszeptibilität, Swedenborgianer, Swedenborgianerin, Talkerde, Telekrat, Traftenführer, vetterlich, Werdaruf. Da gäbe es schon noch weitere Kandidaten, etwa «karrarisch»; es reicht, wenn der Marmor aus Carrara carrarisch bleiben darf. Und muss «Eivissa» (katalanisch für Ibiza) unbedingt im Duden stehen?

Was an Neuaufnahmen nicht in die Musterliste kam, muss man selber anhand der aktuellen und der vorherigen Auflage aufspüren. Ein kurioses Beispiel: Bisher lautete der umgangssprachliche Ausdruck für einen Reifen ohne Luft «der Platte», wie es die Ableitung vom Adjektiv «platt» nahelegt. Doch nun führt der Duden auch «der Platten» auf, samt Genitiv «des Plattens»; um eine Empfehlung, welche Form vorzuziehen sei, drückt er sich hier. Im «Variantenwörterbuch des Deutschen» (2004) steht nur «der Platten».

Eine Korpus-Recherche zeigt, dass diese Form viermal häufiger ist als «der Platte». Das Duden-Korpus ist nicht öffentlich, wohl aber das – noch umfangreichere – des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim. Der dort dokumentierte allgemeine Sprachgebrauch hat, wie so oft, auch beim «Platten» über die Logik gesiegt. Im Online-Duden schon restlos; der gedruckte lässt uns die Wahl – und hat so seiner Wortfülle einen zusätzlichen Eintrag beschert.

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)