«Der Bund», 5.8.2011

Wenn Wörter das Zeitliche segnen

Wie gewonnen, so zerronnen: Kurz bevor die «Abwrackprämie» Eingang in die Duden-Auswahl «Unsere Wörter des Jahrzehnts» gefunden hat («Bund» vom 22.7.), war sie bereits im «Wörterbuch der deutschen Spracharchaismen» verzeichnet. Die deutsche Aktion zur Förderung des Neuwagenverkaufs, der die Prämie zu verdanken war, ist abgeschlossen, und damit kann die Wortschöpfung dem Vergessen zugeführt werden. Jedenfalls hat sie der Autor Manfred Neumann in seine Sammlung «Vom Aussterben bedrohte Wörter der letzten hundert Jahre inkl. Begriffe der ehem. DDR» aufgenommen; so lautet der Untertitel des im Laufersweiler-Verlag in Giessen erschienenen, 230-seitigen Buchs (ISBN 978-3-8359-1100-0).

Der «einst mit Spreewasser getaufte» pensionierte Ingenieur Neumann ist ein Amateur im besten Sinne des Wortes, ein Sprachliebhaber. Er hat seine Sammlung aus früheren ähnlichen Publikationen (v.a. von Bodo Mrozek) und aus eigener Beobachtung zusammengetragen und verzichtet darauf, «Unterscheidungen über den Grad des Veraltens der einzelnen Wörter» anzuführen; auch kommt es ihm nicht auf die Gründe dieses Veraltens an – ob etwa die bezeichneten Dinge ausser Gebrauch sind oder heute anders heissen. Er will helfen, «den Vorrat veralteter oder gerade veraltender deutscher Wörter zu nutzen», getreu einem Wort Jakob Grimms: «sprache, die auszer ihrem baren vorrat, der in umlauf ist, keine sparpfennige und seltene münzen aufzuweisen hätte, wäre arm geschaffen.»

So sind denn schon auf den ersten Seiten Raritäten zu finden wie «sich abäschern» (abrackern), «Abgängling» (Fehlgeburt), «äbicht» (links). Aufgeführt sind fast nur Wörter, die zumindest 1913 oder 1973 im Duden standen; Ausnahmen kennzeichnet der Autor und gibt andere Quellen an, so für «Aberschanz» (Gesäss, bei Mörike). Das ist zweifellos ein «Hüllwort»; dieser Ausdruck für Euphemismus ist aber nicht als bedrohtes Wort verzeichnet, sondern wird verwendet, um etwa den «Argen» oder den «Gottseibeiuns» als Teufel zu entlarven oder den «Allerwertesten» zu enthüllen.

Sprachlichen Einblick in die einstige DDR gewähren oft Abkürzungen oder Markennamen, aber auch Ausdrücke wie «Plaste» für Kunststoff oder «abkindern» für die «Minderung des zinslosen Ehekredits durch Geburt von Kindern». Nicht nur aus der DDR gibt es historisch oder regional gefärbte Einträge, aber die andern sind nicht gekennzeichnet. Dazu gehören etwa «quienen» (nicht recht gedeihen) oder «Posemukel» (kleine, unbedeutende Stadt – nach einem heute polnischen Dorf dieses deutschen Namens, wie Wikipedia ergänzt).

Umgekehrt enthält das Wörterbuch allerhand «vom Aussterben Bedrohtes», das in der Schweiz noch durchaus geläufig ist, im Duden meist als Helvetismus ausgewiesen: «Abdankung» (im Sinn von Trauerfeier); «allfällig» (oder, echt alt klingend, «allfallsig»), «Auslaufer» (braucht für uns nur noch die ä-Pünktchen), «aufbeigen», «Tobel», «Trottoir». Überraschend erscheint bei Neumann das in der Schweiz recht mundartlich klingende Adjektiv «teig» (halbfaul, angefault); der Duden führt es unter der uns vertrauten Bedeutung «überreif, weich» – und als «landschaftlich», aber nicht speziell schweizerisch. Unser «Lätt» hat im Wort «Letten» (Ton, Lehm) eine Entsprechung, die im Hochdeutschen «bedroht» und in Zürich Geografie geworden ist.

Wohl absichtlich allzu pessimistisch führt der Autor allerlei Wörter als «gefährdet» auf, die es kaum sind: Absprache, alles inbegriffen, Altersheim, benachrichtigen, Guten Tag, Häppchen, Steckenpferd, Tatsache – jeweils mit einem englischen oder sonst modischen Ersatzwort, von dem es angeblich verdrängt wird. Übrigens auch «Gesäss»: Heute sage man Po, wie «früher nur im Umgang mit Kindern». Kindersprache mag auch der Duden: Zu seinen «Wörtern des Jahrzehnts» gehört «supi» als Verkürzung des (dubiosen) Adjektivs «super». Möge beides das Zeitliche segnen! (Duden: «veraltend für sterben»)

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)