«Der Bund», 22.7.2011
Kommt Zeit, kommt Wort
Von «abfrühstücken» bis «zwischenparken» reichten die Nullerjahre, jedenfalls wenn es nach dem soeben im Duden-Verlag erschienenen Büchlein «Unsere Wörter des Jahrzehnts» geht. Auf 80 Seiten präsentiert es 500 «zeittypische» Wörter – eine kleine Auswahl aus den rund 15'000 Stichwörtern, die im abgelaufenen Jahrzehnt neu in den Duden-Band «Rechtschreibung» gelangt sind. «Das Thema ist längst abgefrühstückt», lautet der Beispielsatz zum ersten Eintrag – es ist also kein Thema mehr. Und so mag es etlichen der ausgewählten Beispiele über kurz oder lang ergehen; sei es, dass sie aus der (bundesdeutschen) Umgangssprache wieder verschwinden, oder dass sie ihre (dito) Aktualität verlieren, wie etwa die Abwrackprämie.
Anderes bietet in der Tat «überraschende Einblicke in die gesellschaftlichen Entwicklungen innerhalb eines Jahrzehnts», wie es der Verlag verspricht. So gilt das Zwischenparken sowohl Kindern, die man während des «Einkaufsbummels» (nicht etwa «Shopping») im Spielzeugladen lässt, als auch Geldern, die in einem Fonds auf die nächste Anlage warten. Der «Heuschreckenkapitalismus» hat denn auch etliche Spuren in den Wortschatz gelegt, etwa «einpreisen» (Erwartungen in den Preis eines Wertpapiers einrechnen). Ein Wort wie «Blutdiamanten» entlarvt die brutale Geldgier unserer Zeit.
Spekulation und Kommunikation haben uns auch einen Schwall englischer Wörter beschert, aber um diese soll es hier nicht gehen. Nach einer anderen, laufenden Erhebung (www.owid.de) waren im vergangenen Jahrzehnt 30 Prozent der Zugänge englischen Ursprungs, zehn Jahre zuvor 40. Als Ursache des Rückgangs wird vermutet, das Computer-Vokabular sei zur Jahrtausendwende schon recht vollständig gewesen. Überraschender sind hier deutsche Neuprägungen: «ausgrauen» für das Kennzeichnen einer nicht verfügbaren Option auf dem Bildschirm oder «funzen» für funktionieren.
Auch der Lifestyle (im Duden schon 1991 verzeichnet) sorgt laufend für neue Errungenschaften, nicht nur englisch benamste, sondern auch etwa «Fettabsaugung», «Intimschmuck» oder «Botox» (das früher nur als Lebensmittelgift Botulinumtoxin auftrat). Auch das Zwischenparken von Kindern mag in dieses Kapitel gehören. «Lebenspartnerschaft» dokumentiert gesellschaftlichen Wandel, das bezeichnende Wort «Lebensabschnittspartner» aber fehlt in der Auswahl. Wer beim «Auflaufkind» an jenes denkt, das (im Buch von Aglaja Veteranyi) «in der Polenta kocht», liegt falsch: Es ist eines, das an der Hand eines Fussballers ins Stadion einlaufen darf. Oder einer Fussballerin: Die «Libera»-Postition hats ins Wörterbuch geschafft und dokumentiert dort zusammen mit «jedefrau» und anderen Gerechtigkeiten die sprachliche Emanzipation.
Medizinischer Fortschritt findet nicht nur in der Schönheits-, sondern auch etwa in der «Knopflochchirurgie» statt. Die Banalisierung der Psychologie schlägt sich ebenfalls im Wortschatz nieder: «Bauchgefühl», «Frauenversteher», «fremdschämen», «motiviert» (war man das im letzten Jahrtausend wirklich noch nicht?). Nicht zuletzt prägt die Bereicherung des Speisezettels unsere Zeit, so mit «Falafel», «Mojito» oder «Chai Latte». Auch «Latte macchiato» ist zu haben, wenigstens nicht in der Kurzform «Latte», aber trotz Schluss-o wahlweise auch weiblich. Der «Bagel» ist via Jiddisch und Englisch wieder im Deutschen angekommen, wo er als «Beugel», gebogenes Gebäck, einst seinen Ursprung nahm. Bei alledem droht, was das Wörterbuch früher nicht kannte: «fehlernähren».
Oder muss man sagen: Fehler nähren? Zum Beispiel «Best Ager»; so nennt das nur auf Deutsch gebräuchliche Marketing-Englisch Leute im besten (Konsum-)Alter, also dem «best age». Ein «ager» aber wäre ein Mensch, der altert. Und weil das jeder tut, braucht es das Wort nicht. Ausser natürlich in einem Wörterbuch, das unsere Zeit einfangen will.
© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)