«Der Bund», 27.5.11
«Im Rosegarte z'Milano»
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Eisenbahn etwas mit Ortsnamen zu tun hat. Und darum sollen die Schweizerischen Bundesbahnen, nachdem hier vor einiger Zeit ihr Beitrag zur einheimischen Vielfalt gewürdigt worden ist, uns auch in ausländische Gefilde führen. «Zum Apéro nach Milano» oder ähnlich lockte im Frühjahr ein Plakat – als Reverenz an die Italianità, wegen des Wohlklangs oder gemäss dem neuen SBB-Prinzip, die Orte immer so zu nennen, wie sie am Bahnhof angeschrieben sind (ausgenommen Fribourg und Murten, die auch Freiburg und Morat heissen dürfen; freilich wissen noch nicht alle Lautsprecher, dass Bâle oder Genf eigentlich abgeschafft sind).
Immerhin war im Kleingedruckten zu lesen, die angepriesene Reise führe nach Mailand. Da wird unserer Staatsbahn niemand vorwerfen wollen, sie rufe zur Eroberung der lombardischen Metropole auf; schliesslich waren die Eidgenossen nur bis Marignano gekommen und haben sich seither das Erobern verkniffen. Vielmehr ist Mailand der übliche deutsche Name der lombardischen Metropole, und damit ist so wenig ein Anspruch verbunden wie umgekehrt, wenn Italiener von Zurigo reden; wenns Tessiner tun, kann man es auch als Ausdruck heimatlicher Verbundenheit sehen. Und falls heute in der Schule noch Söldnerlieder gesungen werden, heissts sicher: «Im Rosegarte z'Mailand ...».
Auch aus «Zu Strassburg auf der Schanz» wird nicht «Zu Strasbourg ...», obwohl angesichts der elsässischen Geschichte die Verwendung deutscher Ortsnamen heikel sein könnte. Aber wenn ein bernischer Landgasthof «Gänseleber aus Strasbourg» meint anpreisen zu müssen, dann wohl eher wegen kulinarischer als wegen politischer Korrektheit. Mülhausen wird man ebenfalls noch sagen dürfen, ohne des deutschen Revanchismus verdächtigt zu werden; gegen Schlettstadt spricht vielleicht, dass man damit den Weg nach Séléstat verfehlen könnte.
Ähnliche praktische Überlegungen sollten für Osteuropa gelten: Warschau, Danzig und einige weitere polnische Städte tragen ihre deutschen Namen ebenso selbstverständlich wie Prag oder Belgrad. Erzählt man aber hierzulande jemandem, man fahre nach Landsberg an der Warthe, dann versteht der wahrscheinlich nur Bahnhof. Dort freilich steht Gorzów Wielkopolski angeschrieben, und unter diesem Namen wird man es auch auf der Karte suchen müssen. Vielleicht findet man in der Stadt oder in Deutschland Leute, denen der deutsche Name noch geläufig ist. Ebenso sind für Wiener Pressburg, Laibach und Agram schier Nachbarstädte, während wir Bratislava, Ljubljana und Zagreb leichter orten können.
Noch komplizerter ists mit Orten, die nicht einfach in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Namen tragen, sondern umgetauft wurden: Bei Königsberg wärs am einfachsten, den Russen würde der Sowjetpräsident Kalinin als Namenspatron verleiden. Weitere Subtilitäten bieten Städte, bei denen der Unterschied zwischen deutschem und einheimischem Namen nur in der Schreibweise besteht, wie Sarajewo oder Sarajevo. Der Duden schreibts seit je mit v; hingegen hat er bei Kathmandu das h einmal eingefügt, sei es als (unnötige) Angleichung ans Englische oder zur besseren Wiedergabe des Originalklangs.
Beides könnte auch nach Baghdad führen, aber da hält sich der Duden an die herkömmliche deutsche Schreibweise ohne h. Er teilt uns auch mit, dass von dort der Baldachin kommt, benannt nach der italienischen Namensform Baldacco. Da könnte man sich, jedenfalls auf dem Berner Bahnhofplatz, auch an die alte deutsche Form Baldach erinnern – nur verstünde dann kaum noch jemand, dass damit die Stadt im Zweistromland gemeint ist. Nur um der Klarheit willen verzichten wir ja auch darauf, von Welsch-Bern zu reden, obwohl die Bundesstadt ihren Namen wahrscheinlich von Verona entlehnt hat, wie uns das Ortsnamenbuch des Kantons Bern lehrt («Bund» vom 17.5.).
© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)