«Der Bund», 13.5.11
Österreichisch ist nicht würdelos
«Wenn ist würdelos.» Ältere Semester mögen auch hierzulande dieses Verdikt in den Ohren haben, mit dem gestrenge Lehrkräfte versuchten, ihren Zöglingen Sätze wie den folgenden auszutreiben: «Wenn ich betrügen würde, würde mich der Schulmeister erwischen.» In Österreichs Schulstuben wird das «Würde»-Verbot, wie der Sprachkolumnist Robert Sedlaczek («Wiener Zeitung») feststellt, immer noch gepredigt, im Leben draussen aber je länger, je weniger eingehalten. Nun hat er seinen gesammelten Betrachtungen den Titel gegeben: «Wenn ist nicht würdelos», und er stützt sich mit seiner Absolution der «Würde»-Sager auf das «Österreichische Wörterbuch».
Dieses amtliche Werk erlaube seit 1990, den (konditionalen) Konjunktiv II mit «würde» zu umschreiben. Allerdings just dann nicht, wenn dadurch dieses Wörtchen zweimal nacheinander stünde. Das (von mir) genannte Beispiel muss also auch in Österreich nach wie vor so beginnen: «Wenn ich betröge, ...». Dann aber wäre «... erwischte mich der Schulmeister» nicht vorzuziehen. Denn da könnte «erwischte» angeblich als Imperfekt verstanden werden. Auch «wenig gebräuchliche» Konjunktivformen dürfen, ja sollen mit «würde» umschrieben werden; das könnte für «betröge» ebenfalls gelten. Um in solchen Fällen ein doppeltes «würde» zu vermeiden, empfiehlt Sedlaczek: «Sollte ich betrügen, ...»
In der Schweiz ist der Kampf gegen «wenn mit würde» wohl schon länger aufgegeben worden. Hingegen versuchen manche, auch ich, den Konjunktiv I (in indirekter Rede) vor der Umschreibung mit «würde» zu retten. Also: «Er sagte, er gehe heim», und nicht: «... er würde heimgehen». Letzteres wäre nur passend, falls er etwa anfügte: «..., wenn er dürfte.» Nur für diese bedingte Form, also eben konditional, wäre auch der Konjunktiv II am Platz: «Er ginge heim.» Weil sie dies noch unterschieden, wurden die Schweizer einst vom Sprachnestor Wolf Schneider gelobt. Das Lob verdienen wir immer weniger, obwohl uns eigentlich die Mundart die Unterscheidung der Konjunktivformen erleichtern müsste.
Auch in Österreich gibts saftige Konjunktive, wie «i gingert», aber das ist für Sedlaczek kein Grund, sich für die entsprechenden schriftlichen Formen zu wehren. Mehr der beschreibenden als der normierenden Sprachwissenschaft zugetan, begründet er den Verzicht mit der Übernahme englischer Wörter: «Wenn auf der einen Seite der Wortschatz immer reicher wird, dann ist es offensichtlich zwingend, dass es anderswo zu Vereinfachungen kommt.» Damit meint er nicht nur das «Kränkeln» des Konjunktivs, sondern auch den Schwund des Genitivs oder des Präteritums (d.h. Imperfekts, verdrängt durchs Perfekt).
Alles lässt der Kolumnist seinen Landsleuten dann doch nicht durchgehen: So verurteilt er die Verwechslung von «das» und «dass», die vielleicht durch die österreichische Aussprache begünstigt wird. «Das brauchst du nicht lernen» sagt Sedlaczek also hier nicht, doch wäre dieser Satz für ihn korrekt: Ein «zu» vor «lernen» findet er fakultativ. «Wir lassen uns nicht jeden Austriazismus als falsches Deutsch vermiesen», postuliert er allgemein.
Er legt sich zwar nicht gerade mit Wolf Schneider an, wohl aber mit dem Zunftkollegen Bastian Sick («Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod»): «Er, der alles weiss, irrt auch hier», schreibt der Österreicher in Bezug auf jene Zeitform, die der Norddeutsche als «Hausfrauen-Perfekt» belächelt: «Ich hatte es vergessen gehabt.» Dies ist für Sedlaczek ein korrektes «doppeltes Präteritumperfekt»; entsprechende Formen gebe es auch für Präsens und Futur, insgesamt also neun Zeitformen. Da stützt er sich nun nicht aufs «Österreichische Wörterbuch» oder andere Regelwerke, wohl aber auf namhafte Schriftsteller, von Bernhard und Böll über Mann und Musil weiter zurück: «Mignon hatte sich versteckt gehabt, hatte ihn angefasst und ihn in den Arm gebissen. Sie fuhr an ihm die Treppe hinunter und verschwand.» (Goethe, «Wilhelm Meisters Lehrjahre») – (Sedlaczeks Buch*; Kolumnen)
© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)
*Robert Sedlaczek: Wenn ist nicht würdelos. Rot-weiß-rote Markierungen durch das Dickicht der Sprache. Ueberreuther, Wien 2010. 208 Seiten, Fr. 30.50