«Der Bund», 15.4.11

Wenn der Duden «Fehler» duldet

Ein Schreck packte mich, als ich vor zwei Wochen den «Bund» mit der «Sprachlupe» aufschlug: Der Titel «Sprachwahrer mit und ohne Fehler» sprang mich an und drohte mein Glashaus in Scherben zu legen. «Mit und ohne Fehler» ist ja gerade einer, könnte man meinen, und auch wenn ich mich selber nicht als Sprachwahrer bezeichnen würde, muss ich doch beim Steinewerfen aufpassen. Schon sah mein inneres Auge die Rüge voraus: Es müsse «mit Fehlern und ohne Fehler» heissen, denn «mit» verlange den Dativ, «ohne» aber den Akkusativ. Und so legte ich mir die Ausrede zurecht, es sei halt die Einzahl gemeint gewesen, die in beiden Fällen «Fehler» lautet. Indes, der Tadel blieb aus.

Der Titel war so entstanden: Das Original lautete «Sprachwahrer mit und ohne Fehlleistungen», und das war zu lang. Also verkürzte die Redaktion zu «Fehler» – ob mit oder ohne Skrupel, kann dahingestellt bleiben. Denn es gibt ein gewichtiges Argument dafür, «mit und ohne Fehler» auch als Mehrzahl gelten zu lassen: Der Duden tuts. Genauer: der Band 9, «Richtiges und gutes Deutsch». Dieses empfehlenswerte «Wörterbuch der Zweifelsfälle» schreibt, «mit ihr und ohne sie, mit Kindern oder ohne Kinder» wirke «so schwerfällig, dass standardsprachlich als korrekt gilt: mit und ohne sie, mit oder ohne Kinder».

«Wenn man einen Fehler oft genug macht, ist es keiner mehr», könnte man dazu sagen, aber es wäre in diesem Fall allzu pingelig. Jedenfalls ist der Duden-Band 9 nicht so streng und hält es eher mit Sprachwissenschaftlern, die Veränderungen zur Kenntnis nehmen und zu erklären suchen, als mit Sprachwahrern, die dagegen ankämpfen. Zu «mit und ohne» stellt er fest, «dass sich die elliptische Form weitgehend durchgesetzt hat», und meint damit die Ellipse nicht als Oval, sondern als Auslassung. Wo die Wiederholung «zu schwerfällig wirkt», kann man demnach jenen Fall wählen, den die näher liegende Präposition verlangt (oder «regiert», weshalb der entsprechende Abschnitt «Rektionsschwierigkeiten» heisst). «Mit und ohne Kindern» aber wäre falsch.

Dieser Duden-Band lässt sogar «Übersetzungen aus der und in die englische Sprache» gelten und hätte vermutlich auch nichts gegen «in den und um die Häuser sein». Aber da wäre es zumindest eleganter, «in und bei den Häusern» zu sagen – also Präpositionen zu wählen, die den gleichen Fall regieren. Oder die Aussage zu ändern, wenns egal ist: «in und um die Häuser gehen». Denn wenn «in» eine Richtung angibt, folgt ja der Akkusativ. Duden 9 stellt ohne Wertung fest, das komme regional auch bei «bei» vor: «Soll ich morgen bei dich kommen?» Immerhin nennt er das (noch) nicht «standardsprachlich korrekt». Sonst würde er in mir wenn nicht den Sprachwahrer, so doch den Sprachpfleger wecken.

Ganz streng könnte man sogar sagen, auch die Einzahl «mit und ohne Kind» oder eine Mehrzahl wie «mit und ohne Fehlleistungen» sei nicht korrekt, denn ein Wort könne nicht gleichzeitig im Dativ und im Akkusativ stehen. Und dies gelte sogar dann, wenn es in beiden Fällen gleich laute. Das mag spitzfindig tönen, und nach Präpositionen lässt «Richtiges und gutes Deutsch» die Verschmelzung zweier gleichlautender Wörter mit unterschiedlichem Kasus ohne Weiteres zu.

Dies ist aber kein Freibrief für andere derartige Doppelrollen eines Worts, wie «Schule» im Satz: «Die Schule steht am Dorfplatz und besuche ich jeden Tag.» Hier muss «die Schule» wiederholt werden, besser durch ein Pronomen: «... und ich besuche sie ...». Dazu habe ich im «richtigen und guten» Duden zwar kein Beispiel gefunden, aber eine Analogie: «Gleichlautende Relativpronomen können nur dann weggelassen werden, wenn sie im Kasus übereinstimmen.» Also nicht: Er betrat das Haus, das ihm gefiel und er gesucht hatte. Sondern zweimal «das». Oder: Mir gefallen Sprachwahrer, die vernünftig sind und die man für Neues gewinnen kann.

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)