«Der Bund», 4.3.11

Du kannst es: Wesentlich werden

«What if you could - Now, you can - Yes, you can - Yes.» Dieses Gedicht, denkmalreif in eine weisse Gipswand gekerbt, ist noch bis 12. März in der Stadtgalerie im Berner Progr zu sehen. Die Zeilen für dieses und drei weitere, ein wenig längere Gedichte hat die Zürcher Künstlerin Muriel Baumgartner aus Tausenden von Firmenslogans herausgesucht, die meisten aus Amerika. Den ausgewählten Sinnsprüchen ist gemeinsam, dass sie kein Produkt und keine Firma direkt anpreisen, sondern ein Lebensgefühl ansprechen, oft in Befehlsform. Laut dem Handzettel der Ausstellung machen sie gar «in einer allgemeinverständlichen und metaphorisch höchst aufgeladenen Sprache das Versprechen eines metaphysischen Wertes».

In gesellschaftskritisch aufgeladener Sprache erklärt der Zettel, was im würfelförmigen weissen Ausstellungsraum passiert: «Durch das Neuarrangieren der Slogans zum Gedicht entsteht eine Logik, welche die von der Konsumwelt vermittelten 'Werte' zur Pathosformel verdichtet. Zwischen den Zeilen wird eine Rhetorik der Macht, der Kontrolle, der Selbstüberhöhung und der Grenzüberschreitung deutlich und erhält durch den fortwährenden Imperativ und das Ansprechen des anonymen Empfängers totalitäre Züge.» Und die Künstlerin «benutzt die bereits existierende, 'sakrale' Autorität des White Cube, um ihn mit installativen Mitteln als kultischen Raum aufzuladen.»

Da hilft nur noch: «Wir holen dich da raus.» Sei es aus dem Dickicht der Deutung oder aus der originalen Werbewelt. Diese widerspiegelt vielleicht die vermutete Machtrhetorik, sicher aber die Motivationskultur, die das Pionierland USA seit je prägt. Spätestens mit Barack Obamas «Yes, we can» ist sie auch hierzulande angekommen, und wir warten gespannt auf weitere Werbesprüche, die uns beim Ehrgeiz packen. Nebenbei zeigt Obamas Beispiel, dass Plagiate einem Politiker nicht zu schaden brauchen: Die dritte Gedichtzeile oben, «Yes, you can» wurde 2001 von Microsoft verwendet; auch die drei andern stammen übrigens aus der Computerbranche.

«Wir holen dich da raus» steht ebenfalls unter Copy/paste-Verdacht: Wenige Monate nach Bernmobil führte auch die Wiener Stadtzeitung «Falter» diesen Slogan ein. Solche Werbesprüche, die das Publikum direkt (und individuell) ansprechen, gibt es bei uns schon lange, vielleicht angefangen beim kuriosen «Erwecken Sie die Galle Ihrer Leber!» für ein Mittelchen aus den Fünfzigerjahren. Aber stets geht es um die Anpreisung eines Produkts oder einer Dienstleistung, oft in indirekter Anrede und selten im Imperativ: von «Der Kluge reist im Zuge» über «Der Schreiner, Ihr Macher» bis «Für mich und dich». Am ehesten verspricht «Wir bringen Sie weiter» Persönlichkeitsentwicklung – und doch wieder nicht, wenn man weiss, dass die Post so um Geschäftskunden wirbt.

Dass ein Slogan sehr wohl die Angesprochenen anfeuern soll, zeigt ein Blick auf die Herkunft des Worts: «knapp und einprägsam formulierte Redewendung, Wahlspruch, Losung, Werbeformel in Wirtschaft oder Politik; von gleichbed. engl. slogan, das auf schott. slog(g)orne, sloghorne, slughorne Feldgeschrei, Schlachtruf, gäl. sluaghgairm (sluagh Heer, gairm Schrei) beruht». So belehrt uns das Etymologische Wörterbuch des Deutschen (nach Pfeifer, online: dwds.de). Kommerzielle Slogans, ob sie die Firma auf Vordermann bringen oder die Kundschaft mobilisieren sollen, können tatsächlich wie «Feld­geschrei» wirken.

Dagegen hilft, wenn nicht Bernmobil mit dem Moonliner-Bus, Angelus Silesius mit dem «Cherubinischen Wandersmann»: «Mensch, werde wesentlich; denn wann die Welt vergeht, so fällt der Zufall weg, das Wesen, es besteht.»

© Daniel Goldstein