«Der Bund», 21.1.11

Wo die «Webseite» verboten ist

«Der willkürliche Gebrauch englischer Wörter, Abkürzungen und unverständlicher Mischwörter – halb englisch, halb deutsch – ist jetzt verboten, gemäss einer von der Hauptverwaltung für Presse und Publikationen erlassenen Weisung. Der Missbrauch von Fremdsprachen hat die Reinheit der deutschen Sprache ernstlich beschädigt und die harmonische und gesunde kulturelle Umgebung in sozial ungünstiger Weise beeinträchtigt. Bei der täglichen Zensur und der jährlichen Überprüfung muss auch der Gebrauch von Fremdsprachen kontrolliert werden. Normverletzungen sind zu korrigieren und ziehen die gesetzlich festgelegte Strafe nach sich.»

So eine Hauptverwaltung gibts im deutschen Sprachraum zum Glück nicht, und auch die amtliche «Volkszeitung» nicht, die diesen Ukas verbreitet hat. Beides aber waltet in China, und wenn man im Text oben «deutsch» durch «chinesisch» ersetzt, so hat man die gekürzte Übersetzung einer Meldung vor sich, die unlängst auf «en.people.cn» in ganz passablem Englisch zu lesen war. Wie schlimm es mit Anglizismen in China steht, entzieht sich meiner Kenntnis, aber das Wörtchen «willkürlich» lässt tief blicken: Welcher Englischgebrauch als willkürlich gilt, wird wohl von der Hauptverwaltung entschieden. Willkürlich, vermute ich mal.

Es liegt mir fern, für die deutsche Sprache nach solchen Verwaltungen und Verboten zu rufen. Es ist auch nicht so, dass ich Lehn- und Fremdwörter als Angriff auf eine – dubiose – «Reinheit» des Deutschen empfinde: Viele sind eine Bereicherung, und gänzlich ohne sie wäre jede Sprache arm dran. Aber sich etwas zu überlegen, bevor man englische Wörter verwendet, ist auch nicht verboten. Das ist ein weites Feld, und es wird in Kolumnen, Fachzeitschriften und ganzen Büchern unablässig und ausgiebig beackert. Hier nur einige von der chinesischen Gardinenpredigt inspirierte Überlegungen.

Den speziellen Zorn der Zensoren haben Mischwörter erweckt, gleichsam als würde hier linguistische Rassenschande begangen. Im Chinesischen mag es besonders hässlich klingen, wenn Englisch bis ins Innere von Wortbildungen vordringt. Aber dafür haben die Chinesen ein Problem nicht, das sich bei uns stellt: die Verwandtschaft der eigenen und der einfliessenden Sprache; Wörter, die ähnlich tönen, aber nicht unbedingt das Gleiche bedeuten. Manchmal wissen wir gar nicht recht, ob ein Wort(teil) jetzt deutsch oder englisch gemeint und auszusprechen ist.

Ein schönes Beispiel ist die Website, also die Gesamtheit der Bildschirmseiten, die unter einer bestimmten Hauptadresse im Internet stehen. «Web» kann ein Gewebe oder ein Spinnennetz sein; es steht hier fast gleichbedeutend mit Internet, genau genommen für dessen Hauptanwendung. «Site» hat nichts mit Seite zu tun, sondern kommt vom lateinischen situs: Ort, an dem sich etwas Bestimmtes befindet. Wer des Englischen einigermassen kundig ist und «Website» liest, denkt es englisch ausgesprochen: «ouebb-ssait». Was aber, wenn die falsche Eindeutschung «Webseite» dasteht: Liest man es deutsch oder etwa gemischt, «ouebb-Seite»? Und versteht man darunter eine Seite, die selber dem Weben dient oder daraus hervorgegangen ist? Chinas Machthaber haben es leicht: Für sie ist eine Website einfach etwas Gefährliches.

Wörter, deren englische Aussprache von Deutschsprachigen Mundverrenkungen erfordert, sollten zurückhaltend verwendet werden. Daher schlage ich für Website «Netzplatz» vor; hingegen verspüre ich kein Bedürfnis, aus dem Internet ein «Internetz» zu machen. Auch weitere Begriffe aus der Netzwelt sind mit dem hochdeutschen Klangvorrat schlecht zu bewältigen, Mail und Chat etwa; die meisten Schweizer Dialekte halten da passende Laute bereit. Ersatzvorschläge können Sie mir per Strompost schicken.

© Daniel Goldstein