«Der Bund», 29.10.10

Ehret das Hochdeutsch – als Ammensprache!

Peter von Matt hat einen Nerv getroffen. Einige Reaktionen – nicht im «Bund», aber im Newsnetz – sind «ungehobelt, bäurisch und stillos» ausgefallen: Mit just dieser Verunglimpfung habe der Professor in seinem Artikel vom 19. 10. (andere Fassung, ab S. 21) das Schweizerdeutsche angegriffen. Zwar stimmt das Zitat, aber es bezog sich nicht auf die Mundart selber, sondern auf die Unsitte, «mit Deutschen und Österreichern sofort und ausschliesslich im Dialekt zu sprechen».

Davon könnten in der Tat nicht nur deutschsprachige Ausländer ein garstig Liedchen singen, sondern auch fremdsprachige. Und, vom Schweizer Standpunkt aus schlimmer noch, auch Eidgenossen romanischer Zunge machen dieselbe Erfahrung; so der Genfer Nationalrat Antonio Hodgers. Er hat seinen Wohnsitz für ein Jahr nach Bern verlegt, um sprachlich einzutauchen. Doch sein mühsam in der Schule gelerntes Hochdeutsch nützt ihm in der Bundesstadt herzlich wenig.

Er schlägt nun vor, im höheren Bildungswesen und in der breiteren politischen Öffentlichkeit Hochdeutsch als Norm zu setzen. Die Dialekte indessen «sollen als regionale Sprachen sowie als Träger der regionalen Identität und Kultur anerkannt werden» (Parlamentsprotokoll). Wie jetzt von Matt wurde auch Hodgers von manchen so krass missverstanden, als geschähe es mit Absicht: Die einen warfen dem Nationalrat vor, er wolle Schweizerdeutsch in der Öffentlichkeit verbieten; die andern aber, er wolle die Mundart zur regionalen Nationalsprache erheben.

Besonders heftig angegriffen wurde von Matt, der selber wacker ausgeteilt hatte, für seine Feststellung, es habe sich «der Wahn ausgebreitet, der Schweizer Dialekt sei die Muttersprache der Schweizer und das Hochdeutsche die erste Fremdsprache». Im Verlauf des Artikels sprach er dann nur noch vom «Wahn, der Dialekt sei die einzige und eigentliche Muttersprache», und er bezeichnete als Muttersprache «Deutsch in zwei Gestalten: Dialekt und Hochdeutsch». Für den schriftlichen Ausdruck ist das so gut wie unbestritten, aber dass sich viele Deutschschweizer mit dem gesprochenen Hochdeutsch schwertun, kommt nicht nur vom Mangel an Ausbildung oder gutem Willen.

Der Schnabel ist uns tatsächlich schweizerdeutsch gewachsen; der Dialekt ist, marketingdeutsch gesagt, unser Alleinstellungsmerkmal, wenn auch nicht verkaufsfördernd. Hochdeutsch ist, und sei es von früher Jugend an, eine anders erlernte Sprache – jene des grösseren Kulturraums, dem die Deutschschweiz angehört. Damit ist nicht gesagt, auf Schweizerdeutsch gebe es keine Kulturleistungen – aber auch diese nähren sich aus dem intensiven Kontakt mit dem Hochdeutschen. Die deutsche Sprache ist – auch für jene, die keine Hochschule besuchen – eine Alma mater, eine Nährmutter. Sie ist also wenn nicht Mutter-, so zumindest Ammensprache.

Nicht nur mit Österreichern und Deutschen verbindet uns Hochdeutsch (oder was sie dafür halten); es verbindet uns ebenfalls mit all jenen, die sich die Mühe nehmen, Deutsch als Fremdsprache zu lernen. Es ist schlicht eine Notwendigkeit des Anstands, mit ihnen Hochdeutsch zu reden, wenn sie Schweizerdeutsch nicht verstehen.

Von Deutschsprachigen allerdings, die in der Deutschschweiz heimisch werden wollen, darf man verlangen, dass sie den Dialekt verstehen lernen. Meist möchten sie das selber, bitten gar darum, «Schwyzerdütsch» mit ihnen zu reden, auch wenn sie bei ihrer Hochsprache bleiben. Diese Bitte sollten wir erfüllen, auch wenn es uns in einem solchen Gespräch womöglich leichter fiele, unsere Hochsprache zu benützen.

© Daniel Goldstein