273: «Der Bund», 26. 6. 2020

Rassifizierte aller Länder, vereinigt euch!

«Rasse» definiert der Online-Duden als «Bevölkerungsgruppe mit bestimmten gemeinsamen biologischen Merkmalen», warnt aber in einem «besonderen Hinweis»: «Der Begriff Rasse gilt aufgrund der willkürlichen Auswahl von Eigenschaften heute als überholt. In Bezug auf Zuchttiere ist das Wort korrekt. In Bezug auf Menschen werden stattdessen die Wörter Volksgruppe und Ethnie gebraucht.» Nur gegen das Beispiel «niemand darf wegen seiner Rasse benachteiligt werden» nennt das Wörterbuch keine Einwände.

In der Tat ist die Diskriminierung der springende Punkt: Eine Rolle spielt dabei die angebliche Rasse einer Person als Beweggrund für schlechtere Behandlung oder Beschreibung – oder allenfalls für bessere. Es geht also immer um die Zuschreibung einer bestimmten, als rassisch betrachteten Zugehörigkeit. Folgerichtig spricht die «Dozentin für Soziokultur und schwarze Aktivistin» Rahel El-Maawi in einer Gastkolumne der jüngsten «SonntagsZeitung» von «rassifizierten Menschen».

Solche Menschen seien «immer struktureller, institutioneller und individueller rassistischer Gewalt ausgesetzt», schreibt El-Maawi. Falls sie mit «immer ausgesetzt» eine ständige Gefährdung meint, hat sie damit geradezu eine Definition für «rassifiziert» gegeben. Allerdings gehen ihre Darlegungen in die Richtung, dass die Rassifizierten hier und heute auf Schritt und Tritt solche (nicht unbedingt körperliche) Gewalt erleiden, namentlich wegen fehlender Chancengleichheit. Dieser Punkt war in den Sendungen der TV-Arena umstritten, auch unter Rassifizierten selber.

Streng genommen müsste man auch Leute, die wegen ihrer zugeschriebenen Rasse begünstigt werden, als «rassifiziert» bezeichnen – nicht nur dann, wenn Diversitätsförderung ihnen als Angehörigen von Minderheiten den Zugang zu Bildung oder beruflichem Aufstieg erleichtert, sondern auch dann, wenn sie als Angehörige der Mehrheit automatisch im Vorteil sind. Hierzulande ist diese Mehrheit weiss – wie auch immer man das definiert. Wenigstens sprechen nur noch Unbelehrbare dabei von Ariern, wie das die Nationalsozialisten taten, um Juden und andere ihnen missliebige Hellhäutige auszuschliessen. In der Systematik der US-Volkszählung sind ausdrücklich auch Libanesen und Ägypter als Beispiele für Weisse genannt. Die Herkunft soll dort jeweils als Untergruppe der Rasse genannt werden; bei beidem sind Mehrfachnennungen möglich.

Mit dem im Titel abgewandelten Aufruf, dessen Original im Kommunistischen Manifest von 1848 den Proletariern galt, meine ich auch Weisse aller Art: Es gilt die Einteilung der Menschen in Rassen zu überwinden. Soweit das die Sprache betrifft, bringt es wenig, historisch belastete Bezeichnungen durch vermeintlich menschenfreundlichere zu ersetzen: Solange die Vorurteile bestehen, werden sie sich auf die neue Bezeichnung übertragen. Ausser zum Kampf gegen Diskriminierung gibt es überhaupt keinen Grund, einem bestimmten Spektrum an Hautfarben (oder ähnlichen Merkmalen) einen Gruppennamen zuzuordnen. Und auch keinen für Sammelbegriffe, die mehrere Gruppen vereinen.

«People of Color» ist so ein Begriff für Leute, die nicht einer bestimmten Definition von «weiss» entsprechen, aber auch nicht «nichtweiss» genannt werden sollen, sondern eben «von Farbe» (geprägt). In der Arena war auch von «Mänsche of Color» die Rede oder von einem Einzelnen «als People of Color», also «als Leut». Zur Schwierigkeit beim Transfer vom Englischen ins Deutsche kommt auch die Unvollständigkeit: So wird BIPoC verwendet, um «Blacks» und Indigene einzuschliessen, auch etwa Inuit/Eskimos mit weisslicher Haut. Indigene wären Eingeborene, wenn dieses Wort nicht kolonialistisch belastet wäre. Die Buchstabenreihung erinnert an LGBTQIA+, laut Wikipedia die aktuell vollständigste Aufzählung von Identitäten mit Geschlechtsbezug. Statt auch BIPoC zu erweitern: «Rassifizierte» ist sehr treffend.

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)