264: «Der Bund», 21. 2. 2020
Vor der nächsten Vorlage «Antirassismus plus»
Der strafrechtliche Schutz vor Aufrufen «zu Hass oder zu Diskriminierung» gilt nach dem Volksentscheid nun auch dann, wenn eine Person oder eine Gruppe wegen ihrer «sexuellen Orientierung» zum Ziel gemacht wird – wie schon bisher, wenn es wegen «ihrer Rasse, Ethnie oder Religion» geschieht. So weit, so gut, aber auch weiterhin so problematisch wegen des selektiven Schutzes und wegen der Sprachvergehen, denen er gilt. Für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass weitere bedrängte Menschengruppen nach gleichem Schutz rufen, drängen sich einige Überlegungen sprachlicher Art auf.
Denn beim Artikel 261bis des Strafgesetzbuchs, über den abgestimmt wurde, geht es auch darum, «was man sagen darf». Die Behauptung des Referendumskomitees, mit diesem «Zensurgesetz» werde «die Meinungsfreiheit bedroht», war zwar weit überrissen, wies aber auf die Grundproblematik hin. Umso wichtiger wären sprachlich klare Formulierungen im Gesetz – und diesem Anspruch genügen hier nicht alle Sätze. Bei der Aufzählung der geschützten Gruppen ist schon «Rasse» ein Begriff, dessen Anwendung auf Menschen unheilvoll ist und «wissenschaftlich nicht mehr haltbar», wie Wikipedia zu Recht schreibt. «Rasse» taugt nur zu Hass und Diskriminierung – oder notfalls zum Schutz davor und zur Wiedergutmachung dafür.
«Ethnie» ist insofern weniger problematisch, als sich Völkerschaften gern selber als solche definieren; ob jemand dazugehört, ist aber auch nicht immer eindeutig. Selbst «Religion» ist nur bei staatlich anerkannten Gemeinschaften eine rechtstaugliche Kategorie, bei manchen anderen ebenfalls unbestritten, aber nicht bei allen, die «religiös» auftreten. Noch am klarsten ist das neue Kriterium «sexuelle Orientierung» umrissen; gemäss «Bundesbüchlein» zur Abstimmung geht es ums Hingezogenfühlen, aber «nicht gemeint sind die Geschlechtsidentität oder sexuelle Vorlieben und Praktiken». Der Schutz etwa von Trans- oder Intersexuellen wurde im Parlament abgelehnt – er könnte also in einer späteren Abstimmung drankommen.
Einfacher wäre es gewesen, man hätte sich von Anfang an am Artikel 8 der Bundesverfassung orientiert, Absatz 2: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.» Mit «namentlich» ist auch gleich gesagt, dass die Aufzählung nicht abschliessend ist: Diskriminierung ist nicht automatisch erlaubt, wenn sie wegen einer in der Verfassung nicht aufgezählten Eigenschaft erfolgt.
Im Strafgesetz werden mit Artikel 261bis bestimmte Akte der Diskriminierung strafbar, seien es Akte mit Worten oder mit Taten. Dass der Schutz nur für Angehörige bestimmter Gruppen gilt, wird meistens damit begründet, diese fielen auch besonders oft anderen Straftaten zum Opfer; den Boden dafür bereite eben die Diskriminierung. Soll man andere Gruppen erst davor schützen, wenn sie ebenfalls das Ziel von Gewalttätern werden?
Statt die Aufzählung zu erweitern, bis sie (mindestens) jener in der Verfassung entspricht, könnte man auch ganz darauf verzichten und die Strafnorm so beginnen lassen: «Wer öffentlich gegen eine oder mehrere Personen wegen einer angeblichen oder tatsächlichen Gruppenzugehörigkeit oder -eigenschaft zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft …» Die weiteren Absätze wären entsprechend zu formulieren, und nebenbei wäre so auch eine Unklarheit bei der Leugnung von Völkermord beseitigt – nämlich ob sie nur strafbar sei, wenn zwecks Diskriminierung begangen (siehe dazu tiny.cc/261bis). Gewiss, auch die hier vorgeschlagene Formulierung gäbe den Gerichten zu beissen, vielleicht sogar mehr als die geltende – aber sie würde nicht mehr zwischen aufgezählten und anderen Opfergruppen diskriminieren.
© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)