263: «Der Bund», 7. 2. 2020
So redet man heute mit Engelszungen
In der Bibel ist mit «Engelszungen» noch wirklich die Sprache der Engel gemeint (und selbst die klänge hohl ohne Liebe, 1. Korintherbrief). Auch «englisch» kann sich auf Engel beziehen: Der «Englische Gruss» ist jener des Erzengels Gabriel an Maria, festgehalten im «Ave Maria» und in Strassennamen zu Luzern und zu Brig-Glis. Aber wenn heute Engelszungen erklingen, sind es viel häufiger angelsächsische. Das germanische Volk der Angeln, dem die englische Sprache ihren Namen verdankt, ist nicht nach Engeln benannt, sondern wahrscheinlich nach einem Herkunftsgebiet, in dem etwas eng war (Bucht oder Tal, vermutet laut Wikipedia die Forschung).
Alles andere als eng ist heutzutage der Gebrauch englischer Wörter im Deutschen; wenn etwa Manager (für Human Resources oder Public Relations) sie ausgiebig einflechten, mit oder ohne Menschenliebe, wirken sie wie «ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle». Man ist dann durch den englischen Klang wenigstens sogleich vor der Imponiersprache gewarnt. Nicht selten aber kommt Englisches in Wörtern daher, die mit anderer Bedeutung schon vor dem aktuellen Import im Deutschen heimisch waren. Die neue Lesart ist oft befremdlich oder gar irreführend. Soll man einen Brand nun löschen oder als Marke goutieren?
«Das Personal würde locker ausreichen, um dem Bürger einen dezenten Dienst anzubieten.» Das stand in einem Bericht über öffentlichen Verkehr. Gemeint war kaum, das Personal solle diskret und taktvoll dienen; vielmehr wäre man schon mit einem ordentlichen Service zufrieden, auf englisch «decent». Das lateinische «decens» (geziemend) erlebt hier unterschiedliche Deutungen. Nebenbei: «Service» braucht man nicht englisch auszusprechen, französisch hat hierzulande die längere Tradition – eine so lange, dass der Akzent auf die erste Silbe gerutscht ist.
Was würde aus dem Service public, spräche man auch «public» englisch aus? Na ja, Dienst (am) Publikum, passt doch. Immer noch besser, als wenn das fernsehende Publikum, wie in einem Radiobericht aus Australien, «TV-Audienz» genannt wird. Dem schon lange zu dieser «audience» gehörenden Korrespondenten sei’s verziehen. Immerhin hat er sein Publikum nicht «adressiert», wie anstelle von «angeredet» oder «angegangen» gesagt wird, und das gar nicht mehr so selten. Noch besser getarnt ist das englische Original, wenn aus einem gewöhnlichen Hydranten plötzlich ein «Feuerhydrant» wird.
Taucht eine englische Redensart in Form deutscher Wörter auf, so bemerkt das nur, wer das Original kennt. Alle Beispiele stammen aus Medienberichten und sind keine Einzelfälle. «Ich schätze, Autofahrer mit getönten Scheiben bohren sich viel aggressiver in der Nase als der Rest von uns.» Das habe Bill Murray gesagt – mag sein, aber eben auf Englisch. Und da ist «the rest of us» der gängige Ausdruck für «wir andern». Ebenso gängig ist die Rückfrage «Bill who?», wenn man den Schauspieler noch nicht kennt. «Was für ein Bill?» wäre auf Deutsch die gewöhnliche Form, aber das neuere und erstaunte «Bill wer?» passt besser, wenn es um einen plötzlich prominenten Nobody geht.
Wo es noch keine gleichbedeutende deutsche Redensart gibt, kann man ja die Übersetzung als Bereicherung empfinden. Ein «netter Versuch» (nice try) ist es zum Beispiel, wenn jemand erfolglos versucht, mit einer Fangfrage an eine Information heranzukommen. Englisch inspiriert war auch die Voraussage eines deutschsprachigen Brüsseler Diplomaten, die EU werde «die Schweiz nicht vom Haken lassen». Die Redewendung «off the hook» betraf ursprünglich einen Fisch, der dem angelsächsischen Angler entwischte. Heute kann es alles Mögliche sein, das «schlüüft». Die Schweiz ist also gegenüber der EU noch nicht «aus dem Schneider», aber diese rätselhafte Redewendung ist weniger anschaulich als «(weg) vom Haken». Vielleicht droht unserem Land sogar der (englisch bildliche) «perfekte Sturm».