«Der Bund», 1. 11. 2019
So beginnt im Hirn die Eile nach «weil»
Sätze wie «er kam zu spät, weil er hatte den Bus verpasst» würden bald Eingang in die Schriftsprache finden, stand vor zwei Wochen in der «Sprachlupe», gestützt auf ein Fachbuch. Wie zur Bestätigung war seither in meinem Leibblatt zu lesen: «Weil vielleicht, so mutmasst er, habe er einfach nicht eine genügend dicke Haut.» Bei dieser indirekten Rede schlägt die mündlich gefärbte Satzstellung besonders leicht durch, quasi die Eile nach «weil»: Man mag mit dem Verb (hier «habe») nicht warten bis zum Schluss des Satzes, obwohl die Grammatikregel für «weil» das erfordert.
Als hätte er sich auf die Regel besonnen, setzt der Autor wenig später das Verb ans Ende: «Weil niemand, so glaubt Pollina, die Textpassage ernsthaft so verstehen könne.» Es ging um Machogewalt im Rap. Im Gespräch hatte Pollina möglicherweise beide Male, wie es heute oft geschieht, das Verb vorgezogen, also: Er finde die Kritik an seinem Text unfair, «weil niemand kann die Passage ernsthaft so verstehen», aber er mache wohl nicht so weiter, «weil vielleicht habe ich keine genügend dicke Haut».
Damit entsprächen seine Sätze dem Sprachmuster, das die Linguisten Gerard Kempen (Nijmegen) und Karin Harbusch (Koblenz) 2016 untersucht haben. Sie werteten dazu eine Datenbank mit Gesprächsaufnahmen aus. Die Max-Planck-Gesellschaft (Forschungsförderung) fasste das Resultat so zusammen: «Anhand der Datenlage konnten die beiden Forscher zeigen, dass falsche Weil-Sätze häufiger produziert werden, wenn die Sprechenden nicht mehr genügend Planungszeit bzw. -kapazität aufbringen können, um den komplexen Satz – bestehend aus Haupt- und Nebensatz – fertigzustellen. Wie der deutsche Schriftsteller Heinrich von Kleist bereits vor 200 Jahren in seinem bekannten Aufsatz ‹Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden› schrieb, wissen Sprecher in der Regel am Anfang des Satzes noch nicht, wie derselbe endet.»
Was da passiert, wird anhand eines Beispiels beschrieben: «Das sagt man nicht, weil das ist ja falsch.» Der Entscheid, eine Begründung nachzuliefern, fällt beim Sprechen vielleicht erst nach Beginn des Hauptsatzes, und die Zeit reicht nicht mehr, um den Nebensatz in die korrekte Form zu bringen, die da lautet: «… weil das ja falsch ist.» Ebenso wenig reicht die Zeit dazu, statt «weil» eben «denn» zu sagen, womit ein zweiter Hauptsatz eingeleitet würde: «… denn das ist ja falsch.» «Weil» drängt sich vor, weil es insgesamt häufiger vorkommt, und danach wird die regelwidrige Hauptsatz-Wortfolge durch Gewöhnung «immer leichter ausgelöst».
Die Forscherin und der Forscher haben auch die niederländischen Pendants «omdat» (weil) und «want» (denn) untersucht und darüber in der Zeitschrift «Onze Taal» (Unsere Sprache, 1/2019) berichtet. Für diese Wörter gelten die gleichen Grammatikregeln wie im Deutschen. «Omdat» ist aber seltener, und wenn es gesagt wird, dann viel weniger oft mit der falschen Konstruktion. Dies aber auch in einfachen Sätzen, wo die Erklärung nicht verfängt, das Arbeitsgedächtnis habe nicht rechtzeitig die korrekte Wortfolge abrufen können.
Vielmehr spielt laut dem Befund ein Bedeutungsunterschied mit: Die Hauptsatz-Konstruktion diene für eine Mitteilung, die an sich von Belang sei, nicht nur als Begründung fürs zuvor Gesagte. Wählt man demnach «want» (denn), so zeigt man automatisch die hauptsatzwürdige Wichtigkeit an, bei «omdat» (weil) indessen können die beiden Gewichtungen bis zuletzt im Hirn miteinander kämpfen «wie eine Art Sumoringer»: Nebensatz für Begründung, Hauptsatz für eigenständige Mitteilung. Gewinnt Letzterer, so kommt nach «omdat» bzw. «weil» das eilige Verb eben zu früh. Bei reiner Begründung aber steht es zuverlässig am Schluss, wo es im Nebensatz hingehört: Ich schreibe dies nicht (deshalb), weil ich Sie belehren will, sondern weil ich selber etwas Spannendes gelernt habe.
© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)