«Der Bund», 27. 9. 2019

Wer «völkisch» sagt, soll von (Neo-)Nazis reden

Das Wort «völkisch» sei rassistisch, hielt die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) fest, als die damalige Vorsitzende der Rechtspartei AfD, Frauke Petry, 2016 dafür sorgen wollte, «dass dieser Begriff wieder positiv besetzt ist», schliesslich sei er nichts anderes als das Adjektiv zu «Volk». Das war er einst, aber im 20. Jahrhundert ist er zum Inbegriff nationalsozialistischen Vokabulars geworden, wie es unter Hitler im «Völkischen Beobachter» grassierte – im Sinn der im 19. Jahrhundert entstandenen «Völkischen Bewegung, deren Ziel eine ethnisch und kulturell homogene Nation war» (GfdS).

Die «Sprache des Dritten Reichs» hatte Victor Klemperer schon 1947 seziert; ein halbes Jahrhundert später widmete Cornelia Schmitz-Berning dem «Vokabular des Nationalsozialismus» mehr als 700 Seiten. Nun legt der Dudenverlag ein handliches Kompendium vor: «Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht». Der Journalist Matthias Heine («Die Welt») schildert den Gebrauch von rund 90 Wörtern – vor, unter und nach den Nazis. Er gibt zu jedem eine Empfehlung, wie heute damit umzugehen sei.

Erstaunlicherweise fehlt ausgerechnet das jüngst kontroverse «völkisch» in der Liste. Heine verwendet es zuweilen selber, aber immer nur dann, wenn er «über den NS-Wortgebrauch und seine Wurzeln in der völkischen und antisemitischen Agitation» schreibt. Das Wort gehört für ihn offenbar zu jenen, die man im historischen Zusammenhang verwenden kann, sonst aber nicht. So schreibt er: «Angesichts der Geschehnisse in Auschwitz und in den anderen Lagern kann die Bezeichnung KZ oder Konzentrationslager für irgendeine andere Institution (…) immer nur ein verharmlosender sprachlicher Missgriff sein.»

Anderes wiederum ist für ihn tabu: «Wer Volksverräter sagt, könnte auch gleich mit erhobenem rechten Arm herummarschieren. Er muss damit rechnen, für einen Nazi gehalten zu werden.» Oder auch: «Das Wort Rasse sollte man nicht meiden, weil es NS-Deutsch ist, sondern weil es Quatsch ist» (wenn auf Menschen bezogen). Oft wägt der Autor ab: «Es gibt wohl so etwas wie ein Volksempfinden. Was darunter zu verstehen ist und erst recht, was gesund oder ungesund ist, sollte aber nach den Justizverbrechen, die im Namen dieses Begriffs begangen wurden, nie wieder ein Richter oder Politiker sich anmassen zu bestimmen.»

Angesichts rechts aussen kursierender Verschwörungstheorien zur Migration mahnt Heine: «Umvolkung ist ein unpassendes Wort.» Hingegen findet er: «Als Beschreibung einer realen Furcht ist der Begriff Überfremdung trotz seiner NS-Historie durchaus zulässig. (…) Inwieweit ein Gefühl der Überfremdung in Deutschland real ist oder inwieweit die deutsche Sprache durch Anglizismen überfremdet ist, muss diskutiert werden dürfen – und dafür ist das Wort hilfreich. Die Grenzen zum Schüren von Angst werden dabei allerdings leicht überschritten.» Ich empfinde das Wort «Überfremdung» sogar dort als hetzerisch, wo es keine Assoziationen mit den Nazis hervorruft.

Dass auch «Kulturschaffende» eine Nazi-Prägung ist, wissen selbst in Deutschland kaum noch viele: «Der Ausdruck ist wohl nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Da es sich um eine relativ neutrale Bezeichnung handelt, ist das aber auch keine Katastrophe. Dennoch schadet es nichts, seinen NS-Ursprung zu kennen und abzuwägen, ob er überall angebracht ist.» In andern Fällen kann auch Anrüchiges «durchaus akzeptabel» sein: «Liquidieren wird heute nahezu ausschliesslich kritisch gebraucht», für Morde. Doch zieht der Autor willkommene Grenzen: «Untermensch wird heute wieder von Linken gebraucht – bezogen auf brüllende Nazis. Aber das Wort ist auch durch ironische Umwertung nicht zu retten.» Heines Buch, für ein deutsches Publikum geschrieben, kann auch in der Schweiz helfen, weder wie die Nazis zu reden noch andere leichtfertig in deren Nähe zu rücken.

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)