«Der Bund», 17.9.10
Stehende Ovationen für neue Bundesrätinnen?
Über die kommenden Bundesratswahlen ist schon alles gesagt worden – nur diese eine Frage ist der Erörterung vielleicht noch entgangen: Werden die Gewählten stehende Ovationen bekommen? Und falls ja – ist dieser Ausdruck korrekt? Nein, rufen die Verfechter sprachlicher Korrektheit aus, denn es stünden ja nicht die Ovationen, sondern deren Spender. Und Spenderinnen, fügen die Verfechterinnen politischer Korrektheit an, aber man kann es mit beiderlei Korrektheit auch übertreiben. Die Sprache ist nicht immer geschlechtergerecht und auch nicht immer logisch.
Der Duden führt die «stehende Ovation» nicht auf, im Unterschied etwa zu stehenden Wendungen wie «stehendes Heer» (das zwar auch nicht immer steht, aber wenn, dann wenigstens selber). Wohl aber kennt er die «Standing Ovations», allein im Plural und mit der Erklärung, dies sei englischen Ursprungs und bedeute «Ovationen im Stehen». Der «begeisterte Beifall» (so die Erläuterung zu «Ovation») darf auf Denglisch offenbar nur in der Mehrzahl gespendet werden, obwohl er im Englischen vorzugsweise im Singular daherkommt.
«Ovation im Stehen» schreibt denn auch gerne, wer das Latein lieber direkt ins Deutsche importiert, aber den Vorwurf vermeiden will, «stehende Ovation» sei doch unsinnig. Auch das exzellente Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (dwds.de) lässt die Ovation nicht stehen – bis man die Option «Zeitungskorpora» anklickt und den Suchbegriff anpasst: Dann erschallt die «stehende Ovation» gleich reihenweise. Sogar in der «Zeit», der gemeinhin keine Schlampigkeit vorgeworfen wird.
Und was wäre denn an «stehenden Ovationen» so schlimm? Gerade weil völlig klar ist, dass die Ovation nicht auf eigenen Füssen steht, kann man sie im Sprachbild stehen lassen. Man darf sich bloss nicht darauf berufen, das englische Original sei genauso unlogisch. Denn die genaueste Übersetzung von «standing ovation» wäre wohl «Steh-Ovation». «Standing» kann sowohl «stehend» als auch «das Stehen» bedeuten, und Zusammensetzungen kommen im Englischen ohne Bindestrich aus.
Aber selbst wenn am Original logisch nichts auszusetzen ist, darf die Übersetzung unlogisch sein – zum Beispiel, weil man «Steh-Ovation» unschön und «Ovation im Stehen» gestelzt findet. Nicht immer bietet sich ein so eleganter Ausweg an wie in einem Konzertbericht der «Zeit», wo das Publikum dem Pianisten Richter «stehend Ovationen» bot. Schreibt man von «stehenden Ovationen», so kann man sich auf mindestens eine Analogie berufen: Der «fliegende Wechsel» fliegt ja auch nicht selber, sondern er erfolgt im (bildlichen) Fliegen – und hat dabei den Segen des Dudens.
Ähnlich überkorrekt wie ein Verbot der «stehenden Ovation» wäre es, «Olympiade» als Synonym für «Olympische Spiele» zu ächten. Wohl bezeichnet das griechische Original die Vierjahresperiode von den einen Spielen bis zu den nächsten – aber in der Umgangssprache wurde es vielleicht schon damals «fälschlicherweise» für die Wettkämpfe verwendet. Heute heissen die nächsten Sommerspiele, getreu dem ursprünglichen Wortsinn, offiziell «Games of the XXX Olympiad». Die Spiele von London 2012 sind jene der 30. neuzeitlichen Olympiade. Und wenn es 2052 noch welche gibt, sind sie «of the XL Olympiad», aber hoffentlich nicht extragross. Die Olympiade wird ja auch dann nur vier Jahre zählen.
Schon im heutigen deutschen Sprachgebrauch bedeutet das Wort laut Duden nur selten den Zeitraum, normalerweise indessen die Spiele selber. Und den Sportlern – oder den neuen Bundesrätinnen – stehende Ovationen darzubringen, ist wenigstens nicht verboten.
© Daniel Goldstein