«Der Bund», 6.8.10
Wer Krieg sagt, soll Krieg meinen
«Krawalle in Grenoble – Polizisten unter Beschuss»; so lautete unlängst ein Titel im «Bund». Ich muss gestehen, dass ich ihn zuerst missverstanden habe: Da gabs Krawalle, dachte ich, und jetzt wird die Polizei kritisiert, wahrscheinlich weil sie zu hart reagiert habe. Aber weit gefehlt: Die übertriebene Härte lag auf Seiten der Krawallmacher; sie schossen mit scharfer Munition aus Feuerwaffen auf Ordnungshüter.
Sie taten also genau das, was «unter Beschuss nehmen» eigentlich bedeutet, aber meistens meint man es anders, bildlich: Jemand wird scharf, aber nur verbal «angeschossen», als Reaktion auf etwas, das er getan oder ebenfalls nur gesagt hat. Nun bereichern Bilder ja die Sprache, und meist ist auf Anhieb klar, ob etwas wörtlich gemeint ist oder nicht. Manche Sprachbilder versteht niemand mehr wörtlich: Selbst wer weiss, was ursprünglich auf keine Kuhhaut ging, denkt bei dieser Redewendung kaum ans Sündenregister, das der Teufel nach mittelalterlicher Vorstellung auf ein Pergament schrieb.
Es gibt aber Bilder, bei denen man den ursprünglichen Sinn nicht verdrängen sollte, weil er noch offen zutage liegt und so brutal ist, dass es eine Verharmlosung bedeutet, das Bild für weniger grausige Tatbestände zu verwenden. Missverständnisse wie oben sind zwar selten, weil der Zusammenhang meistens klar ist – aber spätestens beim Krieg hört der Wortspass auf.
«Der Sandkasten-Krieg tobt» angeblich diesen Sommer auf der Grossen Schanze zu Bern, und auch «‹Krieg› im Heilerverband» gab’s zu vermelden. In beiden Fällen könnten die Titelsetzer mildernde Umstände geltend machen: «Sandkasten-Krieg» sagt ja schon aus, dass es nicht um einen mit Bomben und Kanonen ging; allerdings trotz dem einst militärischen Tatort Grosse Schanze auch nicht um einen, den Strategen im Sandkasten simulierten, sondern um die Konkurrenz zweier Stadtstrand-Betreiber. Und bei den Heilern stand der «Krieg» in Anführungszeichen – überflüssigerweise, denn kaum jemand wird gedacht haben, sie gingen mit tödlichen Waffen aufeinander los.
Und doch bleibt in beiden Fällen ein ungutes Gefühl; die Anführungsstriche waren wohl ein Versuch, es zu bannen. Denn mit oder ohne Gänsefüsschen: Solange richtige Kriege toben, verbietet es die Pietät, das Wort auch für solche zu verwenden, die keine sind, sondern eben Krach, Streit, Wortgefecht. Wortgefecht? Da steckt doch «Gefecht» drin, somit ebenfalls etwas Kriegerisches. Allerdings ursprünglich eher etwas Ritterliches, später in der Form des Feuergefechts auf schlimmere Waffen als Florette ausgeweitet – also kann man es auch wieder auf ein Wortgefecht zurückstufen.
Die Wortzusammensetzung lässt etwas Neues entstehen, das ein Eigenleben gewinnt und den Sinn der einzelnen Bestandteile in den Hintergrund drängt. So mag sogar der Rosenkrieg als Bezeichnung eines hässlichen Scheidungsstreits durchgehen, auch wenn bereits die Zusammensetzung ursprünglich für durchaus reale Kriege stand, jene um die englische Thronfolge im 15. Jahrhundert.
Und der Beschuss, ohne Zugabe eines Polsterworts? Wollte man die bildliche Verwendung ächten, wäre man allzu zart besaitet (und doch kein Musikinstrument). Wo kein Missverständnis droht, wird man immer noch sagen dürfen, der Bundesrat sei wegen ungenügender Krisenfestigkeit unter Beschuss geraten. Und man darf ihn weiterhin ins Visier oder aufs Korn nehmen, ohne gleich als Attentäter verdächtigt zu werden.
© Daniel Goldstein