«Der Bund», 23.7.10

Fachfrau Betreuung Fachrichtung Kinder

Der Lehrabschluss heisst noch Lehrabschluss, aber sonst scheint in der Berufsbildung kein Stein auf dem andern geblieben zu sein. Staunend konnten wir dieser Tage den Glückwunschinseraten entnehmen, zu was allem es die Lernenden gebracht haben. Sie haben ja auch drei oder vier Jahre lang pausenlos gelernt, die Stifte und Lehrtöchter, wenn sie ihre zeitgemäss wertschätzende und geschlechtsneutrale Bezeichnung ernst genommen haben.

Und so sind sie jetzt Milchtechnologe oder Maschinenbaupraktiker, Bekleidungsgestalterin oder eben Fachfrau Betreuung Fachrichtung Kinder. Wer Zweifel hat, ob die Lehrzeit in der Kindertagesstätte wirklich zu diesem Titel geführt hat, kann in der amtlichen Liste der eidgenössisch anerkannten Lehrberufe nachschauen – und siehe da, die Zweifel waren berechtigt: es muss «Fachfrau Betreuung EFZ Fachrichtung Kinderbetreuung» heissen; EFZ bedeutet eidgenössisches Fähigkeitszeugnis.

Weitere Fachrichtungen betreffen Behinderte, Betagte und Generalisten. Letztere werden nicht betreut, sondern können alle betreuen. Und überall gibt’s natürlich auch den Fachmann dazu; hingegen hat die vielzitierte «Fachperson» keine amtlich beglaubigte Existenz. Wer sich nun zu erinnern glaubt, früher habe dieser Beruf einen einfacheren Namen getragen, liegt wiederum richtig: Ausser für die Betagten waren das Sozialagogen und Sozialagoginnen. Da sind uns doch die Fachfrauen und Fachmänner lieber, auch wenn wir bei der Fortsetzung ins Stottern geraten, obwohl wir die Betreuenden doch so gern korrekt begrüssen möchten, wenn wir ihnen frühmorgens die lieben Kleinen anvertrauen.

Hiessen sie noch früher nicht noch einfacher? Etwas mit «Kinder»? Im Verzeichnis nicht mehr zu finden! Doch auch die heutige «Fachfrau etc.» dürfte nicht für die Ewigkeit sein. Schliesslich geht der Trend bei den Kleinkindern weg von der blossen Betreuung hin zur Frühbildung. Vielleicht taucht doch wieder einmal die Kleinkindererzieherin auf. Wahrscheinlich muss sie (jetzt schon) ein gutes Stück weit auch Migrationsfachfrau sein, aber das ist wieder ein anderer Beruf, und nur «mit eidg. Fachausweis» zu haben.

Neben vielen neuen oder neu benannten Berufen bietet die Liste auch Trost für Traditionsbewusste: den Bäcker/Konditor etwa gibt’s noch, den Maler und den Maurer ebenfalls, selbstverständlich stets auch in der weiblichen Form. Sogar der Küferberuf hat überlebt; man wird jetzt Küfer EFZ oder Küferin EFZ. Den Bauern aber gibt’s nicht mehr, amtlich ist das Bauernsterben total. Nur die «Bäuerin, diplomierte» gibt’s noch. Eine Zeit lang war sie sogar doppelt aufgeführt; einmal war damit ein Mann gemeint, denn «dipl. Bäuerinnen» waren «Partner/innen des Landwirts/der Landwirtin». Jetzt aber geniesst der «Bäuerliche Haushaltleiter mit eidgenössischem Fachausweis» amtliche Anerkennung.

Ganz verschwunden ist der Schneider samt Schneiderin. Die Schneidermeisterin und den Schneidermeister indessen gibt’s durchaus. Wer nun aber meint, da sei ein Meister vom Himmel gefallen, hat sich zu früh gefreut: Es ist die Bekleidungsgestalterin, die sich zur Meisterin hocharbeiten kann. Nur muss sie dann weiterhin viel lernen, obwohl sie keine Lernende mehr ist. Wie das geht, wird man ihr wohl beibringen; wahrscheinlich muss sie dazu tapfer sein. Den Grundstein zu so einer Karriere wird die Fachfrau Betreuung EFZ Fachrichtung Kinderbetreuung legen, wenn sie denn an ihrer Wirkungsstätte noch Märchentante sein darf: Dann erzählt sie den Kindern die Geschichte vom tapferen Bekleidungsgestalterlein/Bekleidungsgestalterinchen.

© Daniel Goldstein

Eine Liste, die auch ältere sowie akademische Berufe umfasst, findet sich unter swissdoc.sdbb.ch
(kommt Error-Meldung, dort Sprache Deutsch einstellen, obigen Link nochmals anklicken).