«Der Bund», 9.7.10
Am Anfang war das richtige Wort
Der jungen Dame kann geholfen werden. «‹Schriftstellerin› ist ein Wort, das ich mir noch nicht zugestehe», sagte die 24-jährige Dorothee Elmiger bescheiden, nachdem sie am Wettlesen in Klagenfurt den zweithöchsten Preis gewonnen hatte. Indessen reicht ein Blick aufs erste Wort ihres soeben erschienenen Erstlings «Einladung an die Waghalsigen», um zu wissen, dass da eine veritable Schriftstellerin am Werk ist.
«Meinerseits» lautet diese Vokabel. Nicht die Ichbezogenheit des Worts verrät die schriftstellerische Hand, sondern der Umstand, dass es am Anfang steht. Denn wie alle Wörter auf «-seits» nimmt es Bezug auf etwas bereits Gesagtes: Jemand tut, hat oder ist etwas, und «ihrerseits» heben sich andere davon ab. Gewöhnliche Schreibende müssen zuerst sagen, worauf sie Bezug nehmen; der Schriftsteller (seinerseits) hat das nicht nötig.
«Meinerseits war ich oft allein mit den Büchern», lautet der ganze erste Satz von Elmigers «Einladung». Offenbar gibt’s da noch andere, und denen ergeht es anders: Entweder sind sie mit den Büchern nicht allein, oder sie sind gar nicht mit Büchern, oder aber das Alleinsein mit diesen geschieht nicht oft. Was gilt, wird uns nicht gesagt; wir sind eingeladen, uns darüber Gedanken zu machen, vielleicht sogar waghalsig, oder die Antwort im weiteren Text zu suchen.
Die Fantasie der Lesenden anregen: Schriftsteller dürfen das, ja sie müssen es sogar. Wer jedoch Gebrauchsprosa verfasst wie diese hier, tut gut daran, sich nicht auf solche Fantasie zu verlassen, sondern klipp und klar zu sagen, was er meint. Und wegzulassen, was nur ablenkt oder gar auf falsche Fährten führt. Gerade «meinerseits» und seine Verwandten sind im gewöhnlichen Sprachgebrauch meist überflüssig. Darum steht oben «seinerseits» in Klammern: auch ohne dieses Wort versteht man den Satz richtig: «Der Schriftsteller hat das nicht nötig.» Will man seine Sonderstellung noch hervorheben, dann vielleicht mit «seinerseits», oder gehobener mit «für sein Teil».
Hier verlassen wir die junge Schriftstellerin und wenden uns anderen Wörtern zu, die meistens überflüssig sind. Eines davon ist «sogenannt». Während der (glücklich überwundenen) strengen Phase der Rechtschreibereform musste man «so genannt» schreiben – und das hatte wenigstens den Vorteil, dass man die Banalität des Wortes gleich erkannte: Aha, da wird etwas so genannt, weil es nämlich so heisst, vielleicht in einer Fachsprache, auf die man schonend hingewiesen wird.
So entstand ein Anfang wie dieser: «So genannte Schneehärter ...» Es ging um Pistenpräparation, und dass ein Mittel dazu genannt wurde, merkte man sowieso. «Chemische Schneehärter» hätte auf gleichem Platz mehr gesagt. Oder besonders hübsch: «Im so genannten Ancien Régime des 18. Jahrhunderts» – damals wurde es garantiert noch nicht so genannt. «Sogenannt» ist nur dann angebracht, wenn Zweifel aufkommen könnten, dass etwas tatsächlich so heisst: «sogenannt toxische Wertpapiere». Oder dann, wenn es ironisch gemeint ist: «Sogenannte Schriftsteller glauben, die Lektorin werde ihnen alles durchgehen lassen.»
Ein weiterer Streichkandidat ist «bekanntlich»: Das Wort ist immer eine Zumutung, denn wer’s schon weiss, will sich diese Freude nicht verderben lassen, und wer’s nicht weiss, will das nicht unter die Nase gerieben bekommen. Ähnlich verhält es sich mit «nämlich»: Wer nicht merkt, dass jetzt die Erklärung kommt, wird sie nämlich auch nicht begreifen. In Alltagstexten liest man am besten darüber hinweg, aber aufgepasst: Steht in einem literarischen Text «nämlich» oder «bekanntlich», so will uns die Schriftstellerin damit gewiss zu einem besonderen gedanklichen Höhenflug anregen.
© Daniel Goldstein