«Der Bund», 11.6.10

Die Sportsprache führt eins zu null

Freuen Sie sich auf die Fussball-Weltmeisterschaft? Dann ist ja gut: Sie werden in dieser Zeitung und in anderen Medien ausgiebig auf Ihre Rechnung kommen. Falls Sie dennoch – oder eben von vornherein – Lust auf WM-freie Lesezonen haben, wird es schwieriger. Nicht nur, weil sich der Fussball in allerhand Gefilden breit machen wird, in denen er nichts zu suchen hat – vom Lärmpegel des Gartenbeiz-Fernsehens bis zum Aufmerksamkeitsdefizit in manchem Büro- oder gar Parlamentsbetrieb. Nicht nur deshalb also wird der Sport überhand nehmen, sondern auch, weil es kaum noch Lebensbereiche gibt, über die ohne Anleihen bei der Sportsprache berichtet wird, selbst in Zeiten zwischen einschlägigen Grossereignissen.

Vielleicht ist es sogar so, dass gerade dann, wenn der Sport keine «historischen» Höhepunkte zu bieten hat, das Bedürfnis nach Siegern und Verlierern, nach Ranglisten und Einteilungen anderswo befriedigt wird. Das kann auch etwas so Schöngeistiges wie eine Kunstausstellung sein: Angelt sich das Klee-Zentrum Picasso oder das Kunstmuseum Anker, dann festigen diese Institutionen ihren Rang in der «Spitzenliga», sei es die nationale oder gar die internationale, die «Champions League». Und bei Budgetdebatten greift man gern zum Argument, eine Stadt wie – beispielsweise – Bern müsse sich doch ein Theater der gebührenden Liga leisten.

So zählt nicht mehr die Qualität des Gebotenen, oder zumindest wird sie gleichgesetzt mit den Kosten. Wie Tennisturniere nach der Summe ihrer Preisgelder eingestuft werden, geht es ja schon den Filmen mit den Produktionskosten, und in den Musentempeln setzen sich die Händler fest. Manche Kulturschaffenden «räumen ab», wenn es Preise zu gewinnen gibt, andere «müssen zittern», ob sie ihrer «Favoritenrolle» im Wettbewerb um Auszeichnungen oder hohe Gagen noch gerecht werden können.

An derlei sportgeprägte Berichterstattung sind Politiker längst gewöhnt. Sie werden ja laufend danach beurteilt, wie sie «sich schlagen» würden, wenn morgen Wahlen wären. Ist gerade keine passende Umfrage zur Hand, so tuns auch Spekulationen darüber, wie diese oder jene Äusserung, jene oder diese Handlung den «Kurswert» der Akteure beeinflusst. Dieser Ausdruck scheint von der Börse zu stammen, hat aber angesichts des Transfermarkts auch eine sportliche Bedeutung. Ist dann der Wahltag tatsächlich gekommen, werden die einen «vom Platz gefegt», die andern feiern einen «Kantersieg».

Wettbewerb belebt das Geschäft – das gilt nicht nur für Sport, Kultur oder Politik, sondern auch für die Berichterstattung darüber. Und die Sportsprache bietet sich an, um etwas spannend zu machen, das eigentlich statt Nervenkitzel andere Reize zu bieten hätte. Diese erschliessen sich aber weniger leicht: Horizonterweiterung im Museum etwa oder Weichenstellung für weitsichtige Politik. Das Schöne daran, im Unterschied zum Sport: Mehr als eine oder einer aufs Mal kann gewinnen.

Jetzt aber: Spielfeld frei für jenes Spektakel, bei dem es immer um Sieg oder Niederlage geht – Sport als Ventil für eine Kampfeslust, der eine zivilisierte Welt keine anderen Arenen böte, schon gar keine für Hooligans. In der real existierenden Welt freilich gibt es noch mehr als genug Kampfstätten, von den blutigen des Krieges über die immer härteren des Wirtschaftslebens bis zu den mehr oder weniger künstlichen der Politik oder der Kultur. Grund genug, den Kampf nicht noch mit sprachlichen Anleihen beim Sport anzuheizen, von jenen beim Krieg ganz zu schweigen.

© Daniel Goldstein