«Der Bund», 18. 6. 2015
Wo die Zibele auf das Bütschgi trifft
Bern kann sich freuen: Die Küchenzwiebel wird zunehmend auch in der östlichen Deutschschweiz «Zibele» genannt und nicht mehr «Böle». Ob da die Ausstrahlung des Zibelemärits wirkt, darf aber bezweifelt werden: Mindestens so schwer dürfte der Umstand wiegen, dass die Berner (und Basler) Bezeichnung für die Zwiebel näher an der hochdeutschen Form liegt. Denn als die Forscherin Britta Juska-Bacher 2010 den Rückgang von «Böle» konstatierte (in «Linguistik online»), hatte sie in der gleichen Umfrage einen eigentlichen Siegeszug von «Schmätterling» und «Summersprosse» beobachtet.
Vor einem halben Jahrhundert hatte «Sprachatlas der Deutschen Schweiz» für die beiden sommerlichen Erscheinungen noch eine grosse Vielfalt von Bezeichnungen festgehalten; die Hochdeutsch-nahen Formen waren rar. Die Biodiversität scheint in der Mundart noch stärker bedroht zu sein als in der Natur. Pflanzen- und Tierarten sowie ihre Lebensräume zu schützen, dürfte ein leichteres Unterfangen sein, als Dialektwörter gegen einen Trend am Leben zu erhalten. Immerhin kann in der Sprache jeder und jede dazu beitragen: Es reicht, selber den Trend nicht mitzumachen. Schlimmstenfalls muss man dem Gegenüber erklären, was ein Summervogel oder Fifolter ist und was Merze- oder Laubfläcke sind.
Der Einfluss des Hochdeutschen ist auch spürbar, wenn das Früeschtück mit Butter den Zmorge mit Anke verdrängt und das Pfärd Hafer frisst statt das Ross Haber. Immerhin bleiben Aussprache und zuweilen Geschlecht («de Butter») mundartlich geprägt. Die Dialektforschung stellt fest, dass sich die Lautformen weit weniger verändern als der Wortschatz. Und nicht immer setzt Hochdeutsch den Trend, wenn die Vielfalt des Vokabulars abnimmt. So hat ein neues Forschungsinstrument den Hinweis ergeben, dass sich das zürichdeutsche «Bütschgi» auf Kosten von «Gröibschi» und anderen Varianten ausbreitet. Beide Wörter haben in Deutschland regionale Verwandte (Butzen, Griebs), während das formelle «Kerngehäuse» im Alltag selten sein dürfte.
Das genannte Instrument ist die seit einigen Jahren für Apple-Mobilgeräte verfügbare «Dialäkt Äpp» und die neue Version «Voice Äpp» (auch für Android). Damit kann man anhand von Testwörtern überprüfen, welcher Region der eigene Dialekt zugeordnet wird – und man kann melden, woher man stammt und welche Wörter man verwendet. Zehntausende von Beiträgen werden derzeit ausgewertet (Bericht).
Zur Vereinheitlichung des Mundart-Wortschatzes dürften auch die elektronischen Medien beitragen. Damit meine ich weniger die im Dialekt gehaltenen Radio- und Fernsehsendungen. Die klingen durchaus vielfältig, auch wenn Sprecher und Moderatorinnen vielleicht auf besondere Ausdrücke ihrer engeren Heimat verzichten. Vor allem aber verwendet Werbung oft ein Allerwelts-Schweizerdeutsch, das nicht einmal im Bahnhofbuffet Olten zuhause ist, sondern direkt aus einer schriftdeutschen Vorlage trieft. Da wird man aufgefordert, mit XY «de Mund z'schpüele» oder gegen «herabgsetzti Leischtigsfähigkeit» YZ zu schlucken. Oder es trieft englisch, etwa wenn man am Telefon gebeten wird, auf den «Abo-Sörviss» zu warten.
Auch angebliche Mundart in Filmdialogen klingt nicht selten so, wie sie vermutlich zuerst aufgeschrieben worden ist, hochdeutsch eben. Die «NZZ am Sonntag» prangerte einst Sätze an wie «De Arzt, de dich operiert hät» (statt «wo …») oder «Es isch vorus zgseh gsi» (statt etwa «Das hät me chöne vorhergseh») – genützt hats kaum. Ähnliches «Schweizerdeutsch» erklingt zuweilen aus Politikermund, wobei es oft um Vorlagen geht, die naturgemäss Schriftdeutsch vorliegen. Da redete man besser gleich Hochdeutsch, so gut es eben geht.
© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)