«Der Bund», 11.12.09

Sitzen Sie lecker in Ihrem Fell?

Reisen bildet. Und wenn es nach Flandern oder in die Niederlande führt, tut es noch mehr: Es beschabt. Wer dort «beschaving» hat, der hat Bildung, Zivilisation, Kultur. Das Niederländische besitzt dermassen viel davon, dass es für viele abstrakte Begriffe Wörter mit germanischen Wurzeln verwendet. Nebenbei kennt es meist auch noch die Fremdwörter, auf die wir im Deutschen angewiesen sind. Das sind wir, weil unseren Vorfahren der Mut zur Eigenschöpfung fehlte, als sie das Latein so blendete wie uns heute das Englische.

Weitere Beispiele gefällig? Das Prinzip ist ein «beginsel», und wer darauf ein System aufbaut, der erhält ein «stelsel». Wird es ihm zu kompliziert («ingewikkeld»), so befragt er nicht einen Experten, sondern einen «deskundigen». Von dem erhält er dann freilich meistens keine Beratung, sondern «advies». Erweist sich der Rat als gut, so steigt des Beraters «gezag». Das hat, da das «z» als «s» ausgesprochen wird, nichts mit Zaghaftigkeit zu tun, sondern bedeutet Autorität: Der Mann oder die Frau hat verdientermassen das Sagen.

Das Niederländische kennt auch keine Scheu davor, in der Hochsprache Wörter zu verwenden, die wir tief in die Mundart verbannen. Jedenfalls glaube ich in den «peuters» und «kleuters» unsere Pfüderi und Chlütteri zu erkennen, die den Hort oder den Vorkindergarten besuchen – in Belgien den entsprechenden «tuin» (Garten, nach dem Zaun benannt, der ihn umgibt), in Holland die «peuterschool» oder «kleuterschool» («sch» immer «s-ch» ausgesprochen, wie die «bes-chaafden» wissen).

Wer nun meint, mit fantasievoller Verwendung des Deutschen sowie einigen Aussprache- und Rechtschreiberegeln schon Niederländisch zu können, der hat die Rechnung ohne die «falschen Freunde» gemacht. Es lauert ein ganzes Heer solcher Wörter, die – echt oder scheinbar – eine deutsche Entsprechung haben, aber etwas anderes bedeuten. Steht an einem Gebäude «Hier zorgeloos huren», so gehört es auch in Amsterdam nicht zum Rotlichtbezirk: Man kann hier nicht sorglos etwas tun, sondern unbesorgt, und was man tun kann, wird mit «ü» ausgesprochen und bedeutet mieten. «Hoeren» (mit «u» ausgesprochen) findet woanders statt.

Man sollte dabei «wakker» sein – nicht wacker, nur wach. Und weil Amsterdam daran ist, das Rotlicht von den Grachten zu verbannen, wird es dort bald «zeldzaam»: nicht seltsam, bloss selten. Um fündig zu werden, wird man dann «bellen» müssen, nicht wie ein Hund, sondern mit der Hausglocke, wenn man noch eine passende findet, und sonst telefonisch «opbellen».

Die Findigkeit der Niederländischsprachigen hält übrigens an: «Kijkcijfer» tönt doch viel besser als «Einschaltquote». Und um manche Redensarten können wir sie nur beneiden. Ist ihnen wohl, so sagen sie es noch farbiger als die Franzosen mit «être bien dans sa peau». Was es bei uns nur negativ gibt, wenn uns nicht mehr wohl in unserer Haut ist oder wir nicht in jener eines anderen stecken möchten, das heisst dort positiv: «lekker in zijn vel zitten».

Daniel Goldstein

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