«Der Bund», 5.3.10
Diese neue Mode mit «diese»
«Durch diese hohle Gasse muss er kommen.» Als Friedrich Schiller diese Worte Wilhelm Tell in den Mund legte, war «diese» noch eines jener Wörter, an denen es nichts zu deuteln gab: Tell stand in einem Bühnenbild, das die genannte Gasse klar zu erkennen gab, und in konventioneller Theaterregie deutete er wahrscheinlich auch noch darauf hin. Auf Brettern, die die heutige Welt bedeuten, ist dies nicht mehr gewiss: Die «dekonstruierte» Gasse mag wie eine leere Bühne aussehen, und Tell könnte ins Publikum zeigen, um diesem den Tyrannen unterzujubeln. Doch all dies ändert nichts daran, dass «diese hohle Gasse» jene bedeutet, in der sich Gesslers Schicksal vollenden wird.
Wäre das Stück aber nicht von Schiller, sondern von einem heutigen Feuilleton-Schreiber, so bedeutete «dieses» nicht mehr unbedingt eine Festlegung. Zum Beispiel begann kürzlich eine Filmbesprechung so: «Da sitzt er in diesem komfortablen Ferienhaus.» Welches, bleibt noch offen. Es geht um Roman Polanskis neuen Film, aber der da sitzt, ist nicht der Regisseur, sondern der Held seines Thrillers. Der Filmkritiker spielt mit unserer Fantasie, die uns ein Chalet in Gstaad vorgaukelt, doch Polanskis Kinogestalt und Schicksalsgenosse sitzt am Meer fest.
Üblicherweise dient ja «dieses» dazu, eine Aussage einem bereits genannten oder gezeigten Objekt zuzuordnen – zum Beispiel in einer Bildlegende: «In diesem Chalet wohnt Polanski.» Oder ohne Bild: «In Gstaad belagern die Fotografen ein Chalet. In diesem haust der Regisseur.» Nach neuer Manier aber kann «dieses» auch ohne ausdrücklichen Bezug auftauchen.
«In einem dieser schwachen Boulevardpressemomente stiess ich neulich auf einen Artikel über Karl Lagerfelds Ängste und Visionen.» So begann vor zwei Jahren jener Essay, der im Wettbewerb des «Kleinen Bund» den zweiten Preis gewann. Die Autorin dürfte versucht haben, mit diesem Bekenntnis zu einem schwachen Moment eine komplizenhafte Vertrautheit mit dem Publikum herzustellen: einer dieser Momente, wie wir sie leider alle kennen.
Wie so manche neuere Entwicklung im Deutschen kommt auch diese Verwendung von «diese» vermutlich aus dem Englischen, das sie in der Umgangssprache seit je kennt: «It was one of these moments.» Da könnte noch ein «you know» folgen, aber nötig ist es nicht: Das Gegenüber versteht, dass die sprechende Person mit Verständnis rechnet und es nicht für nötig hält, «these moments» weiter zu erklären. Ähnlich kennen wir es als Ausruf: Oh diese Literaten!
Da ist «diese» mit einer ominösen Bedeutung aufgeladen, etwa «diese verflixten Literaten». Ebenso meinen der Filmkritiker und die Essayistin vielleicht «dieses vermaledeite Ferienhaus» oder «diese unrühmlichen Boulevardpressemomente». Da im Deutschen ein Wort für solche vielsagenden Hinweise sonst fehlt und da die übliche, eindeutige Verwendung von «diese» problemlos möglich bleibt, ist gegen diese Ausweitung des Sprachgebrauchs wenig einzuwenden. Wäre da bloss nicht dieses ungute Gefühl!
© Daniel Goldstein