Je Zeichen, desto Satz*

Im Zweifel Strichpunkt: Er trennt vollständige Sätze, die in enger Beziehung zueinander stehen. In ganz einfachen Fällen genügt ein Komma: Die Sonne scheint, die Vöglein singen, der Frühling ist da. Sobald aber Nebensätze dazukommen, braucht es fürs bessere Verständnis den Strichpunkt. Ein Beispiel: «Beraten werden sie per Computer, wenn der Fall gravierend ist, bieten die Berater ihnen das Gespräch an.» Da führt das erste Komma auf den Holzweg: Man meint, die Computerberatung sei für gravierende Fälle vorgesehen. Stünde ein Strichpunkt, so merkte man gleich, dass nun etwas Neues kommt.

Komma nach eingeschobenem Nebensatz (oder erweitertem Infinitiv; vgl. vorheriges Häppchen): Immer wieder sehen wir Sätze wie diesen: «Der Bahnhofplatz wird umgebaut, was Lärm sowie Staub verursacht und nachher mit einem Fest eröffnet.» Der Unsinn wäre weg, stünde nach «verursacht» das zwingend vorgeschriebene Komma: Dort ist der Nebensatz fertig, und der Hauptsatz mit dem Subjekt «Bahnhofplatz» geht weiter. Die neue Rechtschreibung erlaubt bei bestimmten Infinitivgruppen die Weglassung beider Kommas: «Ich versäumte den Wecker zu stellen und kam zu spät.» Nur ein einziges Komma (nach «versäumte») zu setzen, erlaubt aber auch die Reform nicht; sie verlangt die Kommas «gegebenenfalls paarig» – und für mich ist der Fall bei solchen Einschüben immer gegeben: «Ich versäumte, den Wecker zu stellen, und kam zu spät.» Oder noch besser, und in diesem Fall auch nach amtlicher Rechtscheibung nur mit Komma: «Ich versäumte es, ...».

Komma zwischen Adjektiven: «Wien musste einen kürzlich verhafteten, mutmasslichen Spion freilassen.» Das Komma weist auf eine Aufzählung von Eigenschaften hin, von denen man einzelne auch weglassen könnte. Das ist hier aber nicht der Fall: Es handelt sich nicht um einen Spion mit den beiden Eigenschaften «mutmasslich» und «verhaftet». Vielmehr ist der Mann nur ein mutmasslicher Spion, man könnte ihn auch einen Spionageverdächtigen nennen. Steht das letzte Adjektiv in besonders engem Verhältnis zum Substantiv, so wird es von anderen Adjektiven nicht mit Komma abgetrennt: «einen kürzlich verhafteten mutmasslichen Spion». Aber: «einen kürzlich verhafteten, blauäugigen mutmasslichen Spion». Es gibt auch Fälle, wo das Komma stehen kann, aber nicht muss: «eine gute (,) gebratene Gans». Mit Komma sagen wir, es habe eine gute Gans gegeben, und die sei gebraten gewesen. Ohne Komma: Es gab das Gericht «gebratene Gans», und gut wars auch. Ferner hätte es auch eine gut gebratene Gans sein können.

© Daniel Goldstein

* Diese scherzhafte Verwendung von «je, desto» ist natürlich ein grober Verstoss gegen die Syntax. Erlaubt ist sie indessen gemäss Goldsteins Gesetz, wie ich es unbescheiden nenne: Man darf fast alles, wenn man es absichtlich macht.