25.8.1987
Färbt der Computer auf Texte ab?
dg. Vor einem leeren Blatt Papier sass ich jeweils viel länger, als ich es jetzt vor einem leeren Bildschirm aushalte. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass Papier einen angenehmeren Anblick bietet; und ich hoffe, es komme auch nicht davon, dass ich mir das Denken vor dem Schreiben abgewöhnt hätte.
Aber verändert hat die Elektronik den Schreibvorgang schon. Nicht bei allen Bildschirmschreibern und -schreiberinnen geschieht dies in gleichem Mass und in gleicher Weise; hier wird eine persönliche Erfahrung wiedergegeben, ausgehend von jenen technischen Möglichkeiten, welche ein Bildschirmgerät von gewöhnlichem Schreibwerkzeug unterscheiden.
Jene Eigenschaft der elektronischen Textverarbeitung – besser Texterarbeitung -, die sich am tiefsten auf das Schreibverhalten auswirkt, ist ihre Dynamik: Alle Entwürfe, Einwürfe, Auswürfe verschmelzen augenblicklich wenn nicht zum grossen Wurf, so doch zu einem sauberen
"Manuskript", welches geduldig der weiteren Bearbeitung harrt. Manchmal harrt es bei Anfängern auch nicht, sondern verschwindet wegen einer Fehlmanipulation spurlos ...
Papier sei geduldig, sagt man: Aber es will mit Tippex, Schere, Kleister bearbeitet sein, wenn aus einem nicht ganz ordentlichen Gedankenfluss zuletzt doch ein wohlgeordnetes Schriftstück entstehen soll. Anders am Bildschirm: unbekümmert ums endgültige Aussehen des Texts nimmst du einen Gedanken auf, spinnst ihn schreibend weiter, fügst an ein Stichwort den nächsten
Themenkreis an. Scheint dir später eine andere Reihenfolge sinnvoller, so stellst du die Absätze um, schreibst die Übergänge neu, merzest wüste Wortwiederholungen aus. Zögerst du zwischen zwei Fassungen, so lässt du beide stehen, bis du im weiteren Zusammenhang deine Auswahl treffen kannst.
Die technischen Handgriffe sind rasch gelernt, die es braucht, um an eine beliebige Stelle des Texts zu kommen, dort etwas einzufügen, zu überschreiben oder zu löschen. Wer mag, nutzt auch die Finssen des Satzsystems, lässt einen falsch geschriebenen Namen automatisch überall korrigieren oder trennt den Bildschirm in zwei Hälften, um aus einer beiseitegelegten Fassung des Texts Passagen in die neue überzuführen.
Das Spiel mit den technischen Möglichkeiten darf aber nicht Selbstzweck bleiben; es mag etwas Disziplin brauchen, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: einen Artikel, der "sitzt".
Die Versuchung ist da, aus der äusserlichen Sauberkeit des Bildschirmmanuskripts voreilig zu schliessen, es sei auch inhaltlich schon bereinigt. Ein bewährter Test dafür, ob ein Schreiberguss gedanklich schlüssig und sprachlich sauber formuliert sei, ist das Gegenlesen durch eine Kollegin oder einen Kollegen – habe man nun am Bildschirm geschrieben oder auf Papier. Einen Unterschied sollte man letztlich nicht mehr bemerken ...
Eindeutig aber ist der Zeitgewinn, wenn's drauf ankommt. Ein Sportreporter zum Beispiel nimmt einen "Tandy 200" mit an den Match. Dieser Kleincomputer hat in einer Mappe Platz; sein Deckel enthält einen Bildschirm, der 16 Zeilen Text aufs Mal zeigt. Der Bericht kann während des Matches – oder auch während einer Parlamentsdebatte – lautlos geschrieben werden. Anschliessend wird er über eine Telefonleitung übermittelt, und schon ist er auf den Redaktionsbildschirmen zur Bearbeitung bereit, um dann druckreif belichtet zu werden. Jedes Abschreiben entfällt. Auch Korrespondenten im In- und Ausland arbeiten mit solchen Geräten.
Dies bedeutet nicht nur Zeitgewinn, sondern auch für die Mitarbeiterin und den Mitarbeiter auf Aussenposten die Möglichkeit, von den Vorteilen der elektronischen Textverarbeitung zu profitieren. Energie, die bisher ins Erstellen sauberer Manuskripte, ins Diktieren oder ins Stanzen von Telexstreifen gelegt wurde, kann jetzt journalistisch genutzt werden.
Dass sich der Journalist so ganz nebenbei auch als Setzer betätigt, ist von ihm aus gesehen ein Nebeneffekt, in der Betriebsrechnung des Verlags eine dringend notwendige Ersparnis – und für bisherige Setzer und Texterfasserinnen eine Existenzfrage. Diese muss ernst genommen, kann aber nicht durch Beibehaltung von Arbeitsgängen gelöst werden, welche der technische Fortschritt überflüssig gemacht hat.
Die bisherige Erfahrung hat gezeigt, dass gelernte Berufsleute durch Umschulung weitgehend in neuen, verwandten Aufgaben eingesetzt werden können. Reine Hilfsarbeiten wie eben das Abschreiben von Texten entfallen dagegen immer mehr (wer etwa Börsenkurse zu setzen hatte, bevor auch sie elektronisch angeliefert wurden, wird dieser Tätigkeit kaum nachtrauern, falls er andere Arbeit hat). Der Abbau der reinen Texterfassung konnte, da es sich vielfach um
Teilzeitarbeit handelte, flexibel erfolgen – aber die Tatsache, dass hier "Arbeit verlorenging", lässt sich nicht leugnen.
© «Der Bund»