Zugabe: Infosperber.ch, 19.7. 2014

Vom Popel- und vom Sprachplaisir

Haben Sie schon einmal Popelplaisir empfunden? Wenn ja, dann könnte Ihnen auch das Buch gefallen, aus dem dieses Wort stammt, denn es zeigt keinerlei sprachliche Berührungsängste: «Schottenfreude», erschienen 2013 bei Knaus und benannt nach seinem englischen Autor Ben Schott. Der macht sich die Eigenschaft der deutschen Sprache zunutze, durch Zusammenfügen neue Wörter zu bilden «für jegliche Idee, die sich ausdrücken lässt». So wird ein 1835 erschienenes Buch des deutsch-amerikanischen Gelehrten Karl Follen zitiert, dazu aber auch Mark Twains Spott über die «alphabetischen Prozessionen» («The Awful German Language», 1880).

Etliche deutsche Zusammensetzungen sind den Angelsachsen so nützlich erschienen, dass sie sie ins Englische aufgenommen haben; zu den bekanntesten zählen zeitgeist und kindergarten, weltschmerz und schadenfreude. Letztere hat offenbar den Buchtitel inspiriert, zumal sie sich fast gleich anhört wie «Schottenfreude» in amerikanischer Aussprache. Leider ist der Titel für die deutsche Übersetzung beibehalten worden, obwohl er in die Irre führt: Ben Schott macht weder irgendwelche Schotten lustvoll dicht, noch zeigt er freudig «schottische» Knausrigkeit.

Vielmehr geht der Autor geradezu verschwenderisch um mit dem sprachlichen Einfallsreichtum, der die Angelsachsen auszeichnet und von dem wir Deutschsprachigen uns manche Scheibe abschneiden könnten. Dass sich Deutsch prima dazu eignet, zeigt Schott an 120 Wortkreationen, zuweilen auch ohne körperliche Berührungsängste. So beim «Stuhlgangsgenuss» (bei Verrichtung, nicht etwa Verzehr, wie aus der mitgelieferten Erklärung hervorgeht). Eher verkrampft mutet dagegen die «Intim­bereichsverkampfung», die man angeblich beim Eintauchen ins kalte Wasser empfindet. Zu übersetzen gab es bei diesem Buch natürlich nicht die Wortschöpfungen selber, wohl aber die Erklärungen dazu, die meistens die Form eines kleinen wissenschaft­lichen Apparats annehmen – manchmal könnte man ihn für frei erfunden halten, aber Stichproben zeigen, dass wohl alles seine Richtigkeit hat. So werden Karthäuser als frühes Beispiel für «Frühlichkeit» zitiert, für die Hochstimmung des Frühaufstehers. Diese schwindet aber rasch, weil sie das ist, «was die Ökonomen einen ‹fallenden Vermögenswert› nennen»: bald dahin, wenn die andern auch aufgestanden sind.

Nicht immer kann der Autor mit solch gelungenen Wortspielen aufwarten, zu denen auch etwa der «Dornhöschenschlaf» gehört (vorgetäuscht, «um nicht mit jemandem schlafen zu müssen»). Zuweilen kann er der Versuchung nicht widerstehen, «alphabetische Prozessionen» aufzutischen wie den «Kraftfahrzeugsinnenausstattungneugeruchsgenuss». Immerhin erfährt man, dass der gewissen Chemikalien namens VOC zu verdanken ist und von einem Romanhelden kurz vor dem tödlichen Unfall als «Geruch der Freiheit» gepriesen ward. Eher gewagt ist die (ausnahms­weise unbelegte) Behauptung, in den 1970er- und 1980er-Jahren habe man «auf deutschen Schulhöfen» das Wort «Irreaffentittenturbosuperdupertyp» hören können.

Wissenschaftliche oder literarische Exkurse machen einen nicht geringen Teil des Vergnügens aus, das Ben Schotts Erfindungen bereiten können. Wüssten Sie sonst, welche Gehirnareale bei der Erinnerung anden erstenKuss(«Lippenhaftung»)mitspielen,oder was Jean-Paul Sartre und die Sterbehilfe­vereinigung Dignitas zur «Abgrundanziehung»zu sagen haben?Oder kämen Ihnen auf An­hieb 30 weitere Verrichtungen neben dem Nasenbohren in den Sinn, die ebenfalls so etwas wie Popelplaisir bescheren können? Ein Vergnügen, das noch dadurch gewinnt, dass sich der Autor nicht an die eingedeutschte Duden-Schreibweise «Pläsier» hält.

Ben Schott: Schottenfreude. Meisterwerke der deutschen Sprache. Aus dem Englischen von Rainer Wieland. Albrecht Knaus Verlag, 2013 (vergriffen). 96 Seiten