Sprachspiegel-Buchtipp, Aug. 2019
«Fribourg» auch auf Deutsch, aber kein «Biel» auf Französisch
Rainer Schneuwly: Bilingue. Wie Freiburg und Biel mit der Zweisprachigkeit umgehen. Hier und Jetzt, Baden 2019. 160 Seiten, ca. 30 Franken.
So nah und doch so fern: Zwischen Freiburg und Biel liegen 38 Kilometer in Luftlinie – und eine Art «Zweisprachigkeitsgraben». Den beleuchtet von vielen Seiten her der Journalist Rainer Schneuwly in seinem Buch «Bilingue». Die deutschsprachige Bieler Mehrheit kommt den Romands deutlich stärker entgegen als Letztere den Deutschfreiburgern, zu denen der Buchautor gehört. Mit einem Aperçu stellt er die Verbindung her: «Interessanterweise wird auch in Biel hin und wieder von ‹Fribourgern› gesprochen», wie so oft in Deutschschweizer Medien – indes: «Als Deutschfreiburger ist man Teil der Deutschschweiz und möchte gern in der eigenen Sprache angesprochen werden. In der Romandie spricht niemand von ‹Biel› ».
Die Schreibweise «Fribourg» erlaubt eine (allzu) bequeme Unterscheidung von Freiburg im Breisgau. Für Schneuwly aber bedeutet die französische Form, dass man in der Deutschschweiz Freiburg «relativ oft als Teil der Romandie betrachtet». Diese Sichtweise deckt sich mit dem traditionellen Blick der Welschfreiburger auf ihre Stadt und den Kanton (wie im Buch beschrieben, auf dem auch der Rest dieser Kolumne beruht). Biel/Bienne dagegen wird von beiden Seiten her als zweisprachig par excellence gesehen, auch wenn Welsche oft bemängeln, im Alltag spürten sie zu wenig davon.
Historische Altlast
Der Unterschied gründet stärker in der Geschichte als in den Zahlenverhältnissen. Allerdings machen die Freiburger deutscher Muttersprache nur einen Fünftel der Stadtbevölkerung (ohne Drittsprachen) aus, die Welschbieler dagegen zwei Fünftel. In beiden Städten haben seit dem 19. Jahrhundert die Romands stärker zugelegt; in jüngerer Zeit auch deshalb, weil Einwanderer sich eher auf Französisch assimilieren als auf Deutsch. Zuvor hatte Biel zum Aufbau der Uhrenindustrie gezielt Fachkräfte aus dem Jura willkommen geheissen; Sprachpolitik spielte dabei angesichts der Deutschschweizer Mehrheit in Kanton und Bund kaum eine Rolle.
In Freiburg dagegen hatte die frankofone Mehrheit in der Alten Eidgenossenschaft Deutsch als Herrschaftssprache erlebt. «Deshalb wollten die von der Französischen Revolution inspirierten Radikalen, als sie 1847 in Freiburg die Macht übernahmen, nichts mehr vom Deutschen wissen.» Im 20. Jahrhundert hielt die «starke französische Prägung» an, begleitet von (zahlenmässig unbegründeter) Angst vor «Germanisierung» durch die «angeblich übermächtige Deutschschweiz». Die Deutschfreiburger erreichten zwar, dass der Kanton offiziell zweisprachig wurde; seine Hauptstadt aber ist es bis heute nicht, und wenn die geplante Fusion mit Nachbargemeinden zustande kommt, schrumpft der Anteil der Minderheit weiter; möglicherweise wird sie dennoch rechtlich aufgewertet.
Von Pedantik zu Pragmatik
Weil die volle Anerkennung der deutschen Sprache fehlt, gab es jahrzehntelange, kleinliche Auseinandersetzungen etwa um Bahnhofs- und Strassentafeln oder das Schulwesen. In den letzten Jahren ist man pragmatischer geworden, aber: «Dass Freiburg faktisch zweisprachig ist, wie der Freiburger Stadtammann Thierry Steiert sagt, ist nicht bis zu allen durchgedrungen.» Als Markenzeichen der Stadt wird die Zweisprachigkeit, anders als in Biel, kaum gepflegt.
Obwohl der Autor keine Vollständigkeit angestrebt hat, bietet er auf 160 lockeren Seiten ein reichhaltiges Panorama. Schneuwly, Redaktor bei der Nachrichtenagentur Keystone-SDA (und einst beim «Bund»), hat seinen eigenen Anspruch erfüllt, «für alle gut verständlich» zu schreiben; unerklärter Politikjargon («Listenspitäler») ist rar. Anschaulich, etwas klischeehaft resümiert er, wie es «Herr Deutsch und Frau Französisch» halten: «In Freiburg lebt dieses Paar eine offene Zweierbeziehung, in Biel ist es eine recht harmonische Ehe.» Dazu passt die in Biel laufende Ausstellung «Biu/Bienne, città of njëqind Sprachen» (=100; www.nmbiel.ch).
(Erstpublikation: «Der Bund», 5. 7. 2019. Zu Freiburg vgl. Heft 4/2017)
© Daniel Goldstein (Sprachspiegel – www.sprachverein.ch)