Sprachspiegel-Buchtipp, Okt. 2017

Helvetismen im neuen Duden

Duden. Die deutsche Rechtschreibung. Dudenverlag, Berlin, 27. Auflage 2017. 1264 Seiten, ca. Fr. 35.–

Wieder ist der Duden dicker geworden; die im August erschienene Neuauflage enthält 145 000 Einträge, da­runter 5000 neue. Unter diesen sind mindestens 80 Helvetismen, die das Total auf etwa 1700 bringen. Die meisten der neu aufgenommenen Schweizer Besonderheiten sind vom Dudenausschuss vorgeschlagen worden, der unter der Obhut des SVDS waltet, seit Kurzem unter dem Präsidium des Idiotikon-Redaktors Prof. Hans Bickel. Noch auf die Bemühungen seines Vorgängers, Dr. Daniel Weber-Arndt, geht zurück, dass der Duden sogar eine neue Regel aufgenommen hat, in D 64: «In der Schweiz wird bei Straßen- und Seenamen, z. T. auch bei Bergnamen zusammengeschrieben.» Zuvor stand dies nur bei den Strassennamen.

Der traditionelle Saubannerzug

Schon bisher gab es den Zürichsee (mit und ohne Bindestrich) und zum Glück nicht den «Züricher See». Bei andern Seen war die Zusammenschreibung Glückssache: Genfer See und Genfersee, aber nur Vierwaldstätter See. Unter den Neuaufnahmen sticht Saubannerzug hervor. Als Definition hatte der Ausschuss vorgeschlagen: «1. (hist.) Freischar während der Burgunderkriege. 2. von Vandalismus und Ausschreitungen begleiteter Marsch einer Gruppe. 3. (modern, am Zürcher Sechseläuten) nach dem offiziellen Teil stattfindender ‹Auszug› einer Zünftergruppe.» Das war aber für die Dudenredaktion zu lang; nun steht da: «eine Züricher Traditionsveranstaltung; auch für Ausschreitung». Beim Adjektiv Züricher steht immerhin: steht «in der Schweiz nur Zürcher». Das Sechseläuten indessen, der eigentliche Traditionsanlass, fehlt.

Dem Ausschuss kann auch das Publikum begründete Vorschläge machen (duden@sprachverein.ch); für Sechseläuten und Anlass wird das demnächst erledigt. Im Duden steht «Anlass [zu etwas] geben, haben»; nur auf duden.de und im Spezialduden «Schweizerhochdeutsch» findet man zudem «Veranstaltung». Dass das Wort so nur in der Schweiz gebräuchlich ist, dürfte hierzulande viele überraschen. Dasselbe gilt für einige Neuaufnahmen wie Funkenwurf, Musikgehör (für etwas haben) oder Zeitungsverträger/-in (statt -austräger/-in) und Haushalt[s]papier (statt Küchenrolle). Auch die Fuß­distanz wird offenbar nur bei uns verstanden und muss sonst umschrieben werden. Dass wir das Eszett – neu auch Grossbuchstabe – nicht verwenden, steht nicht in den Einträgen, sondern in der Regel D 160.

Die Kehrordnung im Bundesrat

Einige Helvetismen sind im Duden als «mundartlich» gekennzeichnet; neu werden solche Wörter kaum noch aufgenommen. Zu erwarten wäre der Vermerk etwa bei «Familien­schlauch» oder «Kehr (schweiz. für Rundgang)», aber er steht nicht. Dieser Eintrag wurde neu formuliert, bisher galt das Wort als «kurz für Kehrordnung», und diese wiederum soll in der Schweiz «festgelegte Wechselfolge, Turnus» bedeuten. Das altertümliche Wort steht in «Schweizerhochdeutsch» mit dem Zusatz «dtl. in anderer Bed.». Die deutsche (und österreichische) Bedeutung «Vorschriften für Rauchfangkehrer» findet sich nicht einmal im allgemeinen Duden.

Weitere Neuerungen betreffen etwa Kulinarisches wie abkalten, Dörrbohne, Hüppe oder Zwischenverpflegung; der Ziger gilt neu nicht mehr als Quark, sondern als «schweiz. für Molkenkäse; Kräuterkäse». Freilich trifft Letzteres nur für Gegenden zu, in denen man «Schab-» weglassen kann. Aufgenommen wurden auch allerhand amtliche Ausdrücke wie Bauzone (mit einigen Ableitungen, nicht aber um- oder einzonen), Fahrnisbaute, kantonseigen, Heimatschein, Sozialabzug. Oder Alltägliches, dessen schweizerische Be­sonderheit uns nicht unbedingt bewusst ist: Katzenkiste, Notstromgruppe, Schuhgestell, Sexsalon.

© Daniel Goldstein (Sprachspiegel – www.sprachverein.ch)