Sprachspiegel-Buchtipp, Dez. 2016

Eduard Engels Stilkunst

Aus dem Schatten des Plagiats geholt

Eduard Engel: Deutsche Stilkunst. Mit einem Vorwort bereichert von Stefan Stirnemann. Die Andere Bibliothek, Berlin 2016 (nach der 31. Auflage von 1931). 2 Bände, 936 Seiten, ca. Fr. 102.–.

Eduard Engel (1851–1938) darf als Stammvater der deutschen Stilkunde des 20. Jahrhunderts gelten, wirkungs­mächtig bis heute. Dennoch ist er viel weniger bekannt als Ludwig Reiners. Dieser, ein Nationalsozialist, hat sich ausgiebig bei Engel bedient – bei ­dessen erstmals 1911 erschienener, von Nationalstolz geprägter «Deutscher Stilkunst». Ihrem Autor erteilte das Naziregime wegen jüdischer Herkunft ein Publika­tionsverbot. Reiners dagegen veröffentlichte 1943 ein «eigenes» Werk mit gleichem Titel; nach dem Krieg hiess es nur noch «Stilkunst» und wurde, wie die kürzere «Stilfibel», immer wieder neu aufgelegt. Der Schweizer Gym­nasiallehrer Stefan Stirnemann zeigt diese Umstände seit Jahren beharrlich auf. Nun erfährt Engel die längst fällige Neuausgabe, von Stirnemann mit einem kenntnisreichen Vorwort über den Autor, dessen Werk und ­beider Schicksal versehen. Gegen ­einige Stellen hat ein Sohn Reiners’ Einspruch erhoben. Der «Sprach­spiegel» plant, 2017 ausführlich auf das Werk zurückzukommen.



Sprachspiegel, April 2017

BRENNSPIEGEL

Guter Stil lasse sich nicht lehren, schrieb Eduard Engel vor rund hundert Jahren, und dennoch versuchte er es – auf den neun­hundert Seiten seiner Deutschen Stilkunst, die jetzt wieder greifbar ist. Er bietet und erläutert dazu zahllose gute und noch mehr schlechte Beispiele; die guten vorwiegend von Klassikern, die schlechten meistens von heute vergessenen Verfassern. Er gliedert seine Betrachtungen, wie die Leseproben in diesem Heft zeigen, nach Merkmalen, die heute in jeder Stilkunde auftauchen.

Die Übereinstimmung ist kein Zufall: Nachdem die Nazis Engel wegen dessen jüdischer Herkunft jegliche Veröffentlichung verboten hatten, brachte einer der ihren eine «eigene» Deutsche Stilkunst heraus, ohne seine Hauptquelle auch nur zu erwähnen. Ohne «Deutsche» im Titel erschien Ludwig Reiners’ Abklatsch nach dem Krieg bei C. H. Beck in vielen Auflagen weiter und wurde zudem nachgeahmt.

Eine bittere Ironie steckt darin, dass Engel selber alles Deutsche verherrlicht hatte, in der letzten Auflage von 1931 sogar mit der Grossschreibung des Beiworts deutsch. Sonst ein Freund des goldenen Mittel­wegs, gestand er Fremdwörter niemandem zu, epische Länge aber zumindest sich selber, ebenso Pathos, das er Feierlichkeit nannte.

Nur Spezialisten kannten Eduard Engel noch, bis der Schweizer Philologe Stefan Stirnemann auf ihn stiess und sein Werk und Schicksal einer breiteren Leserschaft bekanntmachte. Nun hat er zur Neuaus­gabe der Deutschen Stilkunst ein kenntnisreiches Vorwort beigesteuert. Die Andere Bibliothek hat das Werk sorgfältig aufbereitet und damit fürs deutsche Verlagswesen ein wichtiges Stück Wiedergutmachung geleistet.

© Daniel Goldstein (Sprachspiegel – www.sprachverein.ch)