Sprachspiegel-Buchtipp, April 2016

Bücherbrett: Deutsch in der Welt

Ulrich Ammons magistrale Analyse der internationalen Ausstrahlung

Ulrich Ammon: Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt. De Gruyter, Berlin/München/Boston 2015. 1314 Seiten [davon 140 Bibliografie und Register]. Buch bzw. PDF/ePub € 79,95.

Über «die Stellung der deutschen Sprache in der Welt» lässt sich auf weit über 1000 Seiten viel sagen, und Ulrich Ammon gelingt es, die Materialfülle aus vielen Themenbereichen souverän zu bewältigen und zu präsentieren. Zunächst geht es um jenen Teil der Welt, in dem Deutsch Landes- oder Minderheitensprache ist, mit allen Facetten der Verankerung und Verwendung. Dazu kommen der Gebrauch – oder Nichtgebrauch – in internationalen Bereichen sowie in Sprachunterricht und Medien ausserhalb des deutschen Sprachgebiets.

Ammons Kurzfazit nach einem Seitenblick auf maschinelle Übersetzung, schriftlich und mündlich, der er keinen schnellen Durchbruch zutraut: «Allem Anschein nach kann demnach die Menschheit auf absehbare Zeit nicht auf das Fremdsprachenlernen verzichten und bleibt daher der Druck auf die internationalen Sprachen und die Konkurrenz um ihre Stellung weiterhin bestehen.» Dass sich das Deutsche nach Meinung des Autors dieser Konkurrenz stellen muss, wird aus vielen Aussagen des Buches klar.

Wer gehört zur deutschen Ethnie?

Von besonderem Interesse ist für uns, was der emeritierte Duisburger Professor über die Sprachensituation in der Schweiz sagt. Er tut das kenntnisreich, aber problematisch ist, dass er – gerade auch im Hinblick auf die internationale Stellung – den Begriff der Ethnie einbezieht, definiert als «Grossgruppe aufgrund des Glaubens an eine gemeinsame Geschichte, Sprache, Kultur oder Religion»; es bestehe «empirisch eine ziemlich hohe Übereinstimmung zwischen der deutschen Ethnie und der deutschen Sprachgemeinschaft (im Sinne der Personen mit Deutsch als Muttersprache)».

Allerdings schränkt der Autor diese Behauptung gleich selber ein: «Die Bedeutung von ‹deutscher Ethnie/Ethnizität› scheint in und zwischen verschiedenen Regionen und Nationen erheblich zu divergieren. Zum Teil hängt dies mit Schwierigkeiten der Unterscheidung von der Staatsbürgerschaft Deutschlands zusammen, z.  B. bei deutschsprachigen Schweizern und Österreichern, die sich deshalb nicht gerne als ‹Deutsche› den anderen Ethnien im Land gegenüberstellen lassen, sondern nur als ‹deutschsprachige Schweizer› bzw. ‹Österreicher›. Als ‹Deutsche› kann man dort nur die Einwohner Deutschlands bezeichnen (E-Mails von Hans Bickel, Schweiz, und Rudolf de Cillia, Österreich). Vermutlich möchte man sich gegen jeden Verdacht grossdeutscher Neigungen verwahren. Die Schweizer ‹Romans› [sic!] (Französischsprachige) haben dagegen weniger Hemmungen, auf ihre deutschsprachigen Landsleute einfach als ‹les Allemands› zu verweisen (Mitteilung Simone Ueberwasser), was sich ja nur im ethnischen Sinn verstehen lässt.»

Die an der Universität Zürich tätige Gewährsfrau hat für ihre Feststellung nach eigenen Angaben Belege gefunden; sie erklärt aber: «Ich halte es für eine Kurzform für ‹Deutschschweizer›. Es ist den Romands durchaus klar, dass wir keine Deutschen sind.» Von mir befragte Welsche sagen, es komme höchstens im Zorn einmal vor, von «Allemands» statt «Alémaniques» zu reden und dabei «Suisses» wegzulassen. Aber es wäre übertrieben, daraus eine grenzübergreifende ethnische Zuordnung abzuleiten. Allerdings kam es in der Deutschschweiz selbst bis zum Ersten Weltkrieg und vielleicht bis zur Nazizeit vor, dass von – durchaus inländischen – «Deutschen» geredet wurde.

Verständnis für Distanzierung

Für die seither eingetretene Distanzierung zeigt Ammon Verständnis. So knüpft er an «offenbar nicht zuverlässig belegte» Berichte an, manche Deutschschweizer redeten mit Deutschen lieber Englisch als Hochdeutsch: «Allerdings wäre die in solcher Sprachwahl zum Ausdruck kommende Distanz zu Deutschland und seinen Bürgern verständlich […]. Sie liesse sich erklären vor allem aus der unheilvollen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jh., teilweise aber auch aus den Steuerstreitigkeiten Deutschlands mit der Schweiz und der massiven Zuwanderung aus Deutschland in die Deutschschweiz.»

Zudem «passt diese Sprachwahl ins Bild einer gewissen Distanzierung von der deutschen Sprache. Diese lässt sich wiederum als symbolische Distanzierung von Deutschland erklären. In dasselbe Bild fügen sich Beobachtungen, die auch ich selbst gemacht habe, dass Schweizerdeutsche [sic!] gelegentlich in ihrem Dialekt mit Deutschen zu kommunizieren suchen und sich gegen die Kommunikation auf Standarddeutsch sperren. Dies geschieht vor allem in gemischten Gruppen von Deutschschweizern und Nichtschweizern, auch ohne Rücksicht auf eventuelle Verstehensschwierigkeiten Letzterer. Aufgrund solcher Erfahrungen sollen sogar manche Lehrer von Deutsch als Fremdsprache ihren Schülern von Gastaufenthalten in der Schweiz abraten.»

Hier trifft der Autor – sehr zu Recht – einen wunden Punkt: Mit der Abneigung, Hochdeutsch zu reden, manövrieren sich viele Schweizer ins Randgebiet einer Sprachgemeinschaft, der anzugehören ihnen viele Vorteile bringt. Man male sich nur aus, wo wir sprachlich stünden, wenn in den Dreissigerjahren die Bestrebungen Erfolg gehabt hätten, Deutsch als Schriftsprache durch ein normiertes Schweizerdeutsch bzw. Alemannisch zu ersetzen. Das würde nicht nur die Kommunikation über die Landesgrenzen hinaus, sondern auch jene mit Deutsch lernenden Miteidgenossen und Zuwanderern krass erschweren.

Fremdsprache Hochdeutsch?

Wie ein Nachhall auf jene Bestrebungen wirkt die verbreitete Behauptung, Hochdeutsch sei für Deutschschweizer die erste Fremdsprache und – damit verbunden – Schweizerdeutsch sei nicht «nur» ein Dialekt, sondern eben eine eigene Sprache. Ammon tritt dieser Ansicht entgegen, indem er einerseits auf die Ähnlichkeit der Sprache beidseits des Rheins abstellt. Anderseits untersucht er die «Überdachung» durch eine Standardsprache.

So kommt er zum Schluss, Lëtzebuergesch sei trotz ausreichender Ähnlichkeit zum Standarddeutschen eine eigene Sprache, weil in Luxemburg eben ein eigener, deutlich abweichender Standard dafür festgelegt wurde. Hingegen stellen für ihn die Abweichungen zwischen Standarddeutsch in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Gemeinsamkeit der Sprache nicht in Frage. Als Initiant und massgeblicher Mitautor des «Variantenwörterbuchs des Deutschen» hat Ammon grosse Verdienste darum, dass heute die Diversität innerhalb des Deutschen wissenschaftlich unumstritten ist.

Englisch lernen, aber

Diese innere Internationalität des Deutschen kann ein Vorteil sein, wenn es darum geht, die Stellung dieser Sprache in der Welt zu stärken. Aber wie wichtig ist eine solche Stärkung überhaupt? Ammon betont mit vielen Argumenten, eine Sprache von Weltgeltung sei in Politik, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft von Vorteil. Aber selbst für ihn kann es nicht darum gehen, dem Englischen den Vorrang streitig zu machen, und er verschliesst sich auch nicht den Überlegungen, Länder mit guten Englischkenntnissen hätten es leichter, sich Gehör zu verschaffen und international attraktiv zu sein.

Er hält dem aber entgegen: «Vermutlich beeinträchtigt der Englischgebrauch in den deutschsprachigen Ländern die Stellung der deutschen Sprache in der Welt letztlich aus demselben Grund wie der Erhalt von Immigrantensprachen: Indem er die deutsche Sprache für die Kommunikation mit den deutschsprachigen Ländern verzichtbar macht oder wenigstens den Eindruck erweckt.» Selbst dem zunehmenden, oft dem vermeintlichen Prestige geschuldeten Gebrauch von Anglizismen im Deutschen schreibt er eine ähnliche Wirkung zu, will sich aber nicht in die falsche Ecke stellen: «Diese Hinweise verbinde ich nicht mit puristischen Absichten, denn die Vorliebe für Anglizismen kann Einstellungen entspringen, die ich teile, z. B. Kosmopolitismus. Ausserdem bereichern die Anglizismen die deutsche Sprache mit zusätzlichen Ausdrucksmöglichkeiten.»

Bei allem Respekt für die Bemühungen um die Stellung des Deutschen in der Welt: Eine Prestigefrage sollte man nicht daraus machen. Für die Sprache selber ist es wohl wichtiger, dass sie in ihrem eigenen Gebiet gebührend geachtet, gepflegt und verwendet wird, als dass man sie nach aussen propagiert.

© Daniel Goldstein (Sprachspiegel – www.sprachverein.ch)