Sprachspiegel-Buchtipp, Juni 2012
Polemik um Bastian Sick
Karsten Rinas: Sprache, Stil und starke Sprüche. Bastian Sick und seine Kritiker. Lambert Schneider, Darmstadt 2011. 208 Seiten, ca. Fr. 30.-
Je mehr Erfolg Bastian Sick mit seinen (bisher vier) Büchern «Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod» hat, desto mehr Kritiker ruft er unter den Sprachwissenschaftern auf den Plan. Sie weisen dem «Spiegel»-Journalisten nicht nur sachliche Fehler nach, sondern stellen oft seinen ganzen Ansatz in Frage, bestimmte Sprachgebräuche in Glossen anzuprangern und der lernbegierigen Leserschaft Orthografie-, Stil- oder Grammatikregeln in mundgerechten Portionen nahezubringen. Besonders rabiat fiel 2008 die Kritik André Meinungers in dessen Buch «Sick of Sick?» aus.
Damit hat er den in Olmütz lehrenden Germanisten Karsten Rinas dazu gebracht, den alten Konflikt zwischen Sprachwissenschaft und Sprachkritik im Hinblick auf die aktuelle Auseinandersetzung aufzuarbeiten. Allerdings ist es heute eben gerade keine richtige Auseinandersetzung: Abgesehen von einigen Seitenhieben gegen Wissenschafter, die «Sprachfehler» legitimieren, beschäftigen sich Sick und seinesgleichen kaum mit ihnen. Und über Meinunger schreibt Rinas: «Die Frage, ob auch dem Bemühen um Sprachpflege ein rationaler Kern zugrunde liegen könnte, kommt ihm gar nicht in den Sinn»; alles Normative sei ihm suspekt, die Duden-Grammatik mithin «genauso verdammenswert wie die Sick'schen Glossen».
Beiden Kontrahenten wirft Rinas vor, ihre Themen ahistorisch anzugehen, und er erteilt ihnen ausführlichen Nachhilfeunterricht: von antiken Rhetorik-Lehrern über die Unterscheidung zwischen «Beredsamkeit» und «Wohlredenheit» bei Gottsched, Kant und Adelung bis zu neuzeitlichen Sprachkritikern wie Gustav Wustmann («Sprachdummheiten») und Stillehrern wie Eduard Engel (sowie dessen Plagiator Ludwig Reiners) – und deren jeweiligen Gegenspielern aus den Reihen der Sprachwissenschafter. In dem Masse, wie in der Linguistik rein deskriptive Schulen an Boden gewannen, scheint sich der Ton gegenüber Sprachpflegern verschärft zu haben.
Zwar sucht Rinas gemeinsamen Boden, aber er teilt auch selber wacker aus, besonders gegenüber der «konzeptlosen Besserwisserei Sicks» sowie Meinungers «Arroganz und Ignoranz». Was sie und ihresgleichen laut dem Autor voneinander lernen könnten: die Sprachkritiker natürlich, dass sie auf wissenschaftlichem Boden argumentieren sollten, und die Linguisten, dass sie «Anliegen der Sprachpflege ernst nehmen». Denn auf Gebieten wie dem Umgang mit Fremdwörtern oder der Verwendung weiblicher Formen gebe es für sie viel zu tun. Die sprachliche Geschlechterfrage spornt Rinas zu ironischen Spitzen wie «BrüderInnen im Geiste» an, wobei er auch gleich noch sachfremde Polemik gegen gesellschaftliche Anliegen von Homosexuellen unterbringt.
Insgesamt aber ist das kenntnisreich und gut lesbar geschriebene Buch ein verdienstvoller Beitrag dazu, die Linguistik aus dem Elfenbeinturm auf den steinigen Boden der Sprachpflege zu locken. Als geschichtsbewusster Vertreter seines Fachs verschweigt Rinas auch nicht, dass es immer wieder Sprachwissenschafter gegeben hat, die sich für fundierte Handreichungen an Laien nicht zu schade waren. Besonderes Lob spendet er in dieser Hinsicht der Duden-Redaktion und dem einst an der Universität Bern tätigen Willy Sanders («Sprachkritikastereien» und Bücher zur Stillehre). Umgekehrt würdigt er auch etwa den «Zeit»-Journalisten Dieter Zimmer oder den Schweizer Pädagogen Arthur Brühlmeier (Aufsatz «Sprachfeminismus in der Sackgasse») für Sprachpflege auf wissenschaftlichem Niveau.
© Daniel Goldstein (Sprachspiegel)