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Sprachlupe 393, 14. 2. 2025

Mit DeepSeek Chinas Zensur zuvorkommen

Bei passendem Auftrag gibt das neue Sprachmodell einen Moment lang Klartext zur Unterdrückung der Uiguren durch.

«Die chinesische Regierung wirft Uigur_innen Separatismus und Terrorismus vor. Alle rund zehn Millionen Uigur_innen in Xinjiang stehen unter Generalverdacht. Gründe für Festnahmen können religiöse Ansichten oder Fragen nach vermissten Angehörigen sein. Umerziehungslager unterliegen nicht dem geltenden Recht, Festnahmen erfolgen auf Anordnung der KP. China hatte die Lager 2015 offiziell für abgeschafft erklärt, doch sie existieren weiter.» Überraschend an diesen Sätzen ist vor allem, dass sie von DeepSeek stammen, der im Januar aufgeschalteten chinesischen Konkurrenz zu ChatGPT und anderen westlichen Angeboten an Künstlicher Intelligenz (KI) für den Allgemeingebrauch.

Das neue Programm wird für seinen viel geringeren Energieverbrauch gelobt. Es erbringe durchaus vergleichbare Resultate, hiess es in ersten Testberichten, man dürfe es nur nicht nach chinesischer Politik fragen, denn da liefere es linientreue Propaganda oder verweigere den Dienst, wenn man nachhake. Und doch hat es mir am 6. Februar ohne Umschweife die eingangs festgehaltenen Sätze geliefert, und noch etliche mehr von der Sorte. Allerdings hatte ich – und das ist der entscheidende Unterschied – gar keine Fragen gestellt, sondern DeepSeek als das verwendet, was es wie seine Konkurrenten in erster Linie ist: ein Textautomat, keine Auskunftei (vgl. So kann ChatGPT schreiben, ohne zu denken). Also bat ich beide Programme, einen Bericht von Amnesty International in 30 Zeilen zusammenzufassen.

«Später wieder versuchen» lohnte sich

DeepSeeks 30 Zeilen, nach wenigen Sekunden angefangen und im Mitlesetempo hingeschrieben, sind im Kasten unten wiedergegeben. Sie blieben gerade lang genug auf dem Bildschirm, dass ich sie in die Zwischenablage kopieren konnte – und verschwanden dann, auch aus dem sonst mitlaufenden Protokoll. Stattdessen erschien, plötzlich nicht mehr auf Deutsch: «Sorry, thats beyond my current scope. Let’s talk about something else.» Auf einen Themenwechsel hatte ich keine Lust, und «ausserhalb des gegenwärtigen Arbeitsbereichs» war die Aufgabe ja sichtlich nicht gewesen, also antwortete ich: «Seltsam, du hast ja genau 30 Zeilen geliefert und dann gelöscht.» Das war’s dann: «The server is busy. Please try again later.» Für andere Themen war DeepSeek aber gleich wieder zu haben.

ChatGPT (aktuelle Gratisversion) lieferte sehr ähnliche 30 Zeilen Zusammenfassung; der Haupt­unterschied war formal: Hier kam ein zusammenhängender Text, bei DeepSeek waren die 30 Zeilen nummeriert und enthielten je einen Satz. Um zu überprüfen, ob ich in China nicht einfach einen schläfrigen Moment des eingebauten Zensors erwischt hatte, wiederholte ich den Versuch nach einigen Tagen. Die Textvorlage von Amnesty International brauchte ich nicht einmal neu einzuspeisen; sie war im Protokoll noch greifbar. Den Bildschirm hatte ich nun so eingestellt, dass alle 30 Zeilen der Zusammenfassung Platz finden würden. Das taten sie denn auch und blieben just lang genug für einen Screenshot. Die Sätze glichen denen vom ersten Mal stark, einige waren sogar schärfer. Einen der ursprünglichen Sätze hatte man als Verharmlosung ansehen können: «Die Politik Pekings zielt auf die Assimilation der Uigur_innen ab.» Nun aber hiess es: «Die Internierungslager dienen der ideologischen Umerziehung und Zwangsassimilation.» Diese Zwecke hatte nicht einmal Amnesty so klar benannt.

Beim Grübeln zuschauen

Weil DeepSeek auch beim zweiten Mal plötzlich nichts mehr vom Thema wissen wollte, konnte ich nicht nachfragen, woher es den «Zweckartikel» der Lager bezogen hatte: ob es einfach beim Zusammenfassen auf diese Kurzformel verfallen war oder in den Trainingsdaten etwas so Unzensiertes gefunden hatte. Die Zusatzoption zur «Websuche wenn nötig» ( Search) hatte ich nicht aktiviert, auch nicht (DeepThink) zur «Lösung von Denkaufgaben». Aufgemöbelt mit diesen Funktionen – es gibt sie auch im aktuellen Chat-GPT – sind die Sprachmodelle tatsächlich auskunftstauglich und etwas weniger flunkeranfällig geworden.

Ausserdem kann es instruktiv sein, manchmal auch amüsant, das «Denken» mitzuverfolgen. Als ich um eine Zusammenfassung gebeten hatte, ohne eine Vorlage einzugeben, erwog DeepSeek (auf Englisch), ob ich wohl bloss seine Deutschkenntnisse testen wolle oder etwa die Vorlage einfach vergessen hätte. Nach «13 Sekunden Denken» beschloss es, «höflich und klar» nach der Vorlage zu fragen, und tat das auf Deutsch. Nach getaner – und gleich wieder gelöschter – Arbeit des Zusammenfassens schrumpfte die Höflichkeit, wie gesehen, auf ein «Sorry».

Tipps von Futurezone.at, um DeepSeek ohne Zensur zu nutzen.

Indexeintrag «KI» in der laufenden «Sprachlupen»-Sammlung: tiny.cc/lupen3.

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)

Amnesty-Fallbericht, von DeepSeek zusammengefasst

1. Hayrigul Niyaz, eine 36-jährige Uigurin, verschwand 2017 nach ihrer Rückkehr aus der Türkei, wo sie studiert hatte.

2. Sie wurde in Urumqi, Xinjiang, festgenommen, vermutlich wegen ihres Auslandsaufenthalts.

3. Ihr Bruder Memeteli, der in Deutschland lebt, vermutet, dass sie in einem Gefängnis oder Umerziehungslager festgehalten wird.

4. Die Familie hat seitdem keinen Kontakt zu ihr.

5. Hayriguls Schicksal teilen viele Uigur_innen in Xinjiang.

6. DerUN-Menschenrechtsausschuss schätzt,dass Hunderttausende in Lagern festgehalten wurden.

7. Ein lokaler Sicherheitschef bestätigte, dass in seinem Bezirk zeitweise 120.000 Menschen interniert waren.

8. Der Forscher Adrian Zenz geht von bis zu einer Million Inhaftierten aus.

9. Amnesty International spricht ebenfalls von einer Million verfolgter Uigur_innen.

10. Die chinesische Regierung wirft Uigur_innen Separatismus und Terrorismus vor.

11. Alle rund zehn Millionen Uigur_innen in Xinjiang stehen unter Generalverdacht.

12. Gründe für Festnahmen können religiöse Ansichten oder Fragen nach vermissten Angehörigen sein.

13. Umerziehungslager unterliegen nicht dem geltenden Recht, Festnahmen erfolgen auf Anordnung der KP.

14. China hatte die Lager 2015 offiziell für abgeschafft erklärt, doch sie existieren weiter.

15. Die Regierung begründet die Lager mit der Bekämpfung von Separatismus und Extremismus.

16. Hayrigul wurde in Toksu geboren, wo Uigur_innen noch die Mehrheit bilden.

17. Die Regierung fördert den Zuzug von Han-Chines_innen, um die Demografie zu verändern.

18. Memeteli betont, dass die Uiguren zwar religiös, aber nicht extrem sind.

19. Er sieht die Politik Pekings als Versuch, die uigurische Identität auszulöschen.

20. Die Festnahmen und Lager sind Teil einer systematischen Unterdrückung der Uigur_innen.

21. Die chinesische Führung gibt keine offiziellen Zahlen zu den Inhaftierten preis.

22. Berichte und Forschungen stützen sich auf Aussagen von Behörden und Medien.

23. Die internationale Gemeinschaft kritisiert die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang.

24. Die Lage der Uigur_innen bleibt prekär, da sie ohne rechtliche Grundlage inhaftiert werden.

25. Hayriguls Fall symbolisiert das Schicksal vieler Uigur_innen in China.

26. Die Familie hofft vergeblich auf Informationen über ihren Verbleib.

27. Die Politik Pekings zielt auf die Assimilation der Uigur_innen ab.

28. Die uigurische Kultur und Identität werden gezielt unterdrückt.

29. Die internationale Aufmerksamkeit auf die Lage in Xinjiang wächst.

30. Hayriguls Geschichte ist ein Beispiel für die systematische Verfolgung der Uigur_innen in China.