Die «Sollen-Vergiftung»
Über «akute Sollen-Vergiftung» klagte neulich eine Kollegin, nachdem sie knapp 100 Zeilen (alten Masses) über ein Bauvorhaben gelesen und dabei ein Dutzend Mal eine Form des Verbs «sollen» gefunden hatte. Zu oft, denn es gibt etliche andere Möglichkeiten, Absichten zu umschreiben, ob es nun um Bauten, Gesetze oder andere Schöpfungen geht:
- «Gemäss dem Projekt werden ...»
- «Die Vorlage umfasst/bezweckt ...» (aber nicht «will»; wollen können nur die Urheber)
- «Wird alles verwirklicht, so ...»
- «Ziel des Vorhabens ist ...»
Nach dem Werbemotto «unterschätze nie einen 'Bund'-Leser» darf man im Lauf einer Projektschilderung auch voraussetzen, dass diese als solche verstanden wird. Dauert sie etwas länger, so kann die Redaktion gelegentlich «immer laut dem Entwurf» oder etwas Ähnliches einfügen.
Bei «sollen» stört nicht nur (wie bei allem) die Wiederholung; es kann auch zu Missverständnissen führen: Das Verb wird ja auch für Vorschriften und für unbestätigte Angaben gebraucht. Als die Wifag ihren «massiven Einschnitt» angekündigt hatte, war zu lesen: «Es soll sich um den grössten Abbauschritt (in Bern) handeln.» Wahrscheinlich wars ein «Ankündigungs-Soll», denn für ein «Gerüchte-Soll» war die Sache schon zu konkret und den Ehrgeiz zum «Plansoll», den grössten Abbauschritt zu tun, wird man der Firma ja nicht unterstellen wollen.
© Daniel Goldstein