Eine Zeiterscheinung der Zeitungssprache:
Taten in den Mund legen

Daniel Goldstein

ˮ,Wer während Jahrzehnten hoch zu Ross durch dieses Land geritten ist, muss sich wohl erst daran gewöhnen, dass der früher belächelte Steigbügelhalter plötzlich auf dem besten Pferd voranreitet', sorgte SVP-Präsident Ueli Maurer gleich zu Beginn des Parteitags für die richtige Stimmung.ˮ Unsere Politiker haben sich mehr oder weniger zähneknirschend daran gewöhnen müssen, dass ihnen zuweilen Worte in den Mund gelegt werden. Seit einigen Jahren ist aber in der Presse eine neue Erscheinung zu beobachten: Man legt ihnen auch Taten in den Mund.

Der SVP-Präsident wird das Zitierte wohl gesagt haben; was er indessen damit bewirkt haben soll, ist eine Feststellung des Berichterstatters, die sprachlich vom Zitat abgesetzt werden muss. Beginnt ein Satz mit direkter oder indirekter Rede, so erwartet der Leser zu Recht die anschliessende Mitteilung, wer das gesagt habe. Im Beispiel also: ˮ..., sagte U.M. und sorgte damit...ˮ

Nun haben wir Journalisten besonders oft Gelegenheit, uns an die Fünftklasslehrerin zu erinnern, die da sagte: ˮIhr sollt nicht immer ,sagen' sagen.ˮ Abwechslung macht auch das Lesen süss, und gegen Phantasie bei der Präsentation von Äusserungen ist nichts einzuwenden. Keuchen und krächzen, stammeln und stöhnen, schreien und schelten – die deutsche Sprache ist reich genug an Verben, die eine Äusserung bedeuten und ihr, richtig verwendet, gleich noch die treffende Prägung geben. Nur um der Abwechslung willen ist es also nicht nötig, den Zitierten Taten in den Mund zu legen. Einige weitere Beispiele – alle tatsächlich in schweizerischen Zeitungen erschienen – führen uns auf die Schliche der Schreibenden.

ˮ,Besser kann es ein Fussballer auf dieser Welt nicht haben', greift er zum Superlativ.ˮ

ˮVoraussetzung sei allerdings, dass es bei dem gleich nach der Machtübernahme in Auftrag gegebenen Kassensturz keine böse Überraschung gebe, liess er gleich wieder eine Hintertür offen.ˮ

ˮ,Trotzdem hat jede Läuferin ihre persönliche Laufzeit erhalten', konnte Ryffel aufkommende Sorgen im Keime ersticken.ˮ

Häufig ist es so, dass der Berichterstatter nicht warten kann, seine Interpretation des Gesagten zu liefern, oder dass er zur Platzersparnis die eigentliche Mitteilung weglässt, die Gewährsperson habe dies oder das geäussert. ˮMan merkt es ja sowiesoˮ, mag er denken, und damit hat er sogar Recht. Er verletzt nicht den Informationsanspruch des Publikums, sondern, sofern vorhanden, dessen Sprachgefühl: Wie gesagt, wird nach einer Äusserung die ausdrückliche Zuordnung zur Quelle erwartet. Geht hingegen der Äusserung ein vorbereitender Satz oder Satzteil voraus, so muss dieser nicht zwingend ˮsagenˮ oder ein Synonym enthalten. ˮEr greift zum Superlativ: ,Besser kann es ein Fussballer nicht haben.'ˮ An diesem Satz stört nichts, obwohl er inhaltlich gleich ist wie der oben beanstandete.

Wieso das? Der Doppelpunkt hat nicht nur die Funktion, anzuzeigen, dass jetzt das Gesagte kommt; er kann auch zu einer Illustration, Begründung oder Erläuterung überleiten. Nach ˮRyffel konnte aufkommende Sorgen im Keime ersticken:ˮ könnte nicht nur das Zitat kommen, sondern auch etwa: ˮEr legte eine Resultatliste vor.ˮ

Diese Nebenrolle kann der Doppelpunkt sogar dann spielen, wenn er auf ein Zitat folgt. ˮ,Trotzdem hat jede Läuferin ihre persönliche Laufzeit erhalten.': Ryffel konnte aufkommende Sorgen im Keime ersticken.ˮ In dieser Form erregt der Satz jedenfalls weniger Anstoss als im Original. Noch besser, nach dem Zitat: ˮ..., so konnte R. aufkommende Sorgen im Keim ersticken.ˮ Das ˮsoˮ fängt die Erwartung auf, nun werde die Äusserung zugeordnet, und leitet zu deren Einordnung über. ˮMit diesen Wortenˮ hat dieselbe Wirkung; sprachlich korrekt, aber umständlich ist auch: ˮ,Besser kann es ein Fussballer nicht haben', sagt er, zum Superlativ greifend.ˮ Nicht nur Taten, auch Überzeugungen können jemandem in den Mund gelegt werden; das geschieht sogar besonders häufig: ˮ,Die meisten haben jedoch mutwillig die Parkgebühr nicht bezahlt', ist sie überzeugt.ˮ Dieser Satz ist zunächst journalistisch unkorrekt: Die Berichterstatterin kann ja nicht wissen, ob die Überzeugung der Gesprächspartnerin echt oder gespielt ist. Diese Klippe lässt sich mit ˮgibt sich überzeugtˮ umschiffen, oder mit ˮgibt sich glaubhaft überzeugtˮ, wenn partout eine Bewertung mitgeliefert werden soll. Nur sind wir damit von der Äusserung zur Tat vorgedrungen, oder zumindest in den Grenzbereich.

In diesem Grenzbereich zwischen tun und sagen sind sehr viele der Sätze angesiedelt, die uns hier beschäftigen.

ˮ,Wer den Posten will, muss stark genug sein, damit zu leben', gab Burkhalter dazu einen viel sagenden Hinweis.ˮ

ˮSeine letztjährigen Empfehlungen hätten die Tarifpartner nur ungenügend berücksichtigt, kommt Marti aufgrund einer ersten Prüfung zum Schluss.ˮ

ˮ,Bist du als Quarterback nicht überzeugt, jeden Spielzug erfolgreich zu gestalten, bist du im falschen Geschäft', nannte Kurt Warner die mentale Grundvoraussetzung für den Job.ˮ

Hätte Warner die Selbstsicherheit eine Grundvoraussetzung genannt, hätte Marti gefolgert, hätte Burkhalter viel sagend verdeutlicht – sie alle wären nicht in diese Aufstellung gelangt. Manchmal brauchts noch weniger: ˮSie fühle sich ,als beste Spielerin des heutigen Tages', beantwortete sie eine entsprechende Frage.ˮ Richtig: ˮ..., antwortete sie auf eine entsprechende Frage.ˮ Ähnlich subtil falsch: ˮ,Jetzt haben wir unser Osterei', ist Bauvorsteher Marco Caminada der Meinung.ˮ Richtig zum Beispiel: ˮ..., lautet Bauvorsteher M.C.s Meinung.ˮ Journalistisch genau müsste es ˮMeinungsäusserungˮ heissen, oder eleganter ˮKommentarˮ.

Im Grenzbereich von Wort und Tat bewegt man sich naturgemäss mit Verben, die beides betreffen können. Besonders beliebt ist da ˮerklärenˮ: ˮ,In Münsingen und Konolfingen betreiben wir zwei Anlaufstellen', erklärt Burckhardt die Form der Betreuung.ˮ Hörte der Satz nach ˮBurckhardtˮ auf, wäre er problemlos, und ins Französische würde er mit ˮ...déclaraˮ übersetzt. Um das Ganze wiederzugeben, müsste man zu ˮexpliquaˮ greifen, und es gäbe auch auf französisch einen schrägen Satz.

Neben den Bedeutungsnuancen von ˮerklärenˮ liegt das Problem darin, dass das Verb im angeführten Satz gleichzeitig zwei ganz verschiedenartige Objekte hat: den Nebensatz (das Zitat) und das Akkusativobjekt ˮFormˮ. Wir sind damit in der Nähe von Stilblüten wie: ˮEr machte sich auf die Socken und einen schlechten Eindruck.ˮ

Empfindet man das Doppelobjekt einmal als unschön, so wird man auch an Sätzen Anstoss nehmen, wie sie gang und gäbe sind:

ˮ,Ich freue mich, bei dieser Entwicklung dabei zu sein', begründet Reto Braun seinen Wechsel von der Post zur Zuger Firma Fantastic.ˮ

ˮDie Initianten seien ,auf guten Wegen', zitierte das ,Thuner Tagblatt Stadtpräsident Hans-Ueli von Allmen.ˮ

ˮDie Post sei nicht mehr zustellbar, bestätigte der Sekretär des Schwyzer Justizdepartements einen Bericht der ,Neuen Schwyzer Zeitung'.ˮ

Allerdings muss man päpstlicher sein als die Sprachpäpste, um mit Stilverbesserungen bei solchen Sätzen zu beginnen – es gibt bei den weiter oben angeführten krassen Formen in den Mund gelegter Taten genug zu tun. Den mehr oder weniger offiziellen Sprachpäpsten scheint diese Art der Spracherweiterung entweder zu gefallen oder – wahrscheinlicher – entgangen zu sein. Jedenfalls ist mir, von einer mündlichen Bestätigung Wolf Schneiders abgesehen, noch kein Bannstrahl gegen solch gewagte Konstruktionen bekannt. Vielleicht auch deshalb, weil sie jüngeren Datums sind: Sie sind in der Schweizer Presse in den letzten zehn Jahren aufgekommen. Wie weit sie in andere Sprachbereiche vorgedrungen sind, bleibt zu untersuchen. Je weniger, desto besser, versteige ich mich zum Wunsch.



(erschienen im ˮSprachspiegelˮ, Zeitschrift des Schweizerischen Vereins für die deutsche Sprache, Nr. 6, 2002)