«Der Bund», 29. 12.  2017

Der Name gibt dem EU-Vertrag den Gout

Sofern sich Brüssel und Bern doch noch finden, wird im kommenden Jahr ein Vertrag unterzeichnet, der für den bisherigen und künftigen Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt rechtliche Leitplanken setzen soll. Ob ihn danach das Schweizer Stimmvolk billigt, könnte auch davon abhängen, welche Bezeichnung sich in der Öffentlichkeit durchsetzt. Offiziell war bisher von einem Rahmenabkommen die Rede, meist mit dem Zusatz «institutionell». EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versuchte bei seinem letzten Besuch in Bern, für einen «Freundschaftsvertrag» gut Wetter zu machen – ohne Erfolg.

Auf der anderen Seite reden SVP-Exponenten seit geraumer Zeit vom «Ankettungsvertrag», den es zu verhindern gelte. Sie zielen damit vor allem auf die automatische Übernahme von EU-Recht und auf die «fremden Richter» des EU-Gerichtshofs, den Brüssel allein zuständig sehen will, wenn die Auslegung strittig ist. Immerhin ist die SVP-Wortwahl jetzt etwas milder als beim «Kolonialvertrag», wie Parteivordenker Christoph Blocher gern den – 1992 vom Volk abgelehnten – EWR-Vertrag bezeichnet. Bei Kolonien denkt man an Ausbeutung, bei Ankettung «nur» an Unfreiheit.

Mit der Übernahme von EU-Recht – mit Konsultations-, Ausnahme- und Ausstiegsklauseln garniert – hat die Schweiz schon bisher auf eigene Gestaltungsmöglichkeiten verzichtet. Sie hat damit die weitreichende Teilnahme an den EU-Freiheiten für Menschen und Güter, Kapitalien und Dienstleistungen erkauft. Ohne Polemik kann man das gewiss als Anbindung bezeichnen, mit der ein zivilisierter Umgang möglich ist, während gegen Ankettung nur ein Bolzenschneider hilft, sofern man kein Entfesselungskünstler wie Houdini ist. «Freundschaftsvertrag» klingt zwar freundlicher, aber auch nach Schulterklopfen oder gar Ironie – was wäre denn das für eine Freundschaft, die einen Vertrag braucht? Und erst noch einen unter Druck ausgehandelten; Scharfmacher reden gar von Erpressung.

Bestenfalls wäre «Partnerschaft» angebracht, auch wenn die EU dieses Wort bisher nur für Vertragsgeflechte mit ihren östlichen bzw. südlichen Nachbarn verwendet hat. Auch gegen diese Bezeichnung lässt sich einwenden, sie verhülle die Einseitigkeit der Sache: Es geht ja nie um die Übernahme von Schweizer Recht durch die EU, sondern immer ums Umgekehrte. Auf halbem Weg zwischen «Anbindung» und «Partnerschaft» bietet sich eben doch «Rahmen» an, oder aussagekräftiger: «Zugang». «Vertrag» sollte allerdings schon dabeistehen, denn damit ist die völkerrechtliche Verbindlichkeit eindeutig genannt. Auch manche «Abkommen» stehen auf gleicher Stufe, aber manchmal ist nur eine Abmachung zwischen Regierungen gemeint, ohne vom Parlament gutgeheissene Ratifikation.

Die rund 120 Abkommen unterschiedlichen Ranges, die es zwischen der EU und der Schweiz gibt, bilateral zu nennen, ist eigentlich eine Banalität, denn bilateral heisst ja nichts anderes als zweiseitig. Multilateral, also zwischen mehreren Parteien geschlossen, ist zum Beispiel der Europäische Wirtschaftsraum (EWR). Der «bilaterale Weg» ist unsere Alternative dazu, aber das Wort hat ein Eigenleben gewonnen. «Wir regeln das bilateral», kann jemand an einer Sitzung sagen, wenn er ein Problem mit einem einzelnen Teilnehmer nicht in der Runde ausbreiten will. Früher hätte er einfach «unter uns» gesagt.

In der Schweizer EU-Politik wird nun oft argumentiert, das Volk habe «zum bilateralen Weg Ja gesagt» – dabei ist es nur so, dass eine Reihe von Abstimmungen über bestimmte Schritte auf diesem Weg positiv ausgegangen sind. Das bedeutet keine Zustimmung auf Vorrat zu weiteren Schritten, und wer eine bestimmte Vorlage dazu ablehnt, während er frühere gebilligt hat, ist nicht a priori inkonsequent. Er wird es erst, wenn er Worte wählt, die den bisherigen und den künftigen Weg zugleich verunglimpfen. Umgekehrt ist «bilateral» auch noch kein Gütesiegel für eine Vorlage.

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)