«Der Bund», 22.  9.  2017

Wortimport mit und ohne guten Grund

Sie sind «alle mit einem süssen Zahn» gesegnet, die vier Mädchen in einem Kinderbuch, dessen Rezension mir kürzlich wegen dieser anatomischen Besonderheit auffiel. Auf Englisch ist der «sweet tooth» eine beliebte Redewendung, um jemandes Vorliebe für Süssigkeiten auszudrücken. Die deutsche Lehnübersetzung trifft man selten an, aber sie scheint eine (Zahn-)Lücke zu füllen: Wohl haben wir Ausdrücke für Leute mit einem süssen Zahn, Schleckmaul oder Naschkatze etwa. Ersteres ist ein (dem Duden bekannter) Helvetismus; anderswo sagt man «Schleckermaul»; «Naschkatze» könnte als sexistisch verpönt sein, und so etwas ist natürlich strikt zu meiden, zumal wo von Kinderbüchern die Rede ist.

Für die Eigenschaft aber, Süsses besonders zu mögen, kenne ich keine (ursprünglich) deutsche Redewendung; «süsser Zahn» als – sprachlicher statt botanischer – Neophyt verdrängt wohl keine einheimische Art. Und auch der Einwand, es sei doch gar nicht der Zahn selber süss, ist sprachlich gesehen kein Hinderungsgrund: Das macht ja gerade den Reiz des Ausdrucks aus. Auch ein weiterer, nun wirklich anatomischer Import kommt recht gelegen: Hamstring. Diese «Schinkenschnur» spielt gelegentlich bei verletzten Sportlern eine Rolle, und auf Deutsch müsste man von einem Hüftgelenksextensor oder noch komplizierter sprechen. Wir haben je Oberschenkel drei derartige Muskeln und keinen einfacheren Sammelbegriff. Wer «hamstring» im Wörterbuch nachschlägt, wird auch auf «Achillessehne» stossen – aber das ist dann jene von Tieren und unterscheidet sich von der menschlichen Sehne an der Ferse.

Was aber soll eine übersetzte englische Redensart, wo es eine gleichwertige deutsche gibt? Warum zum Teufel schreibt jemand «warum zur Hölle»? Manche Neophyten-Wörter machen tatsächlich alteingesessene zur bedrohten Art: Rushhour für Stosszeit, Hangover für Kater, Bodyguard für Leibwächter oder Security für sonst einen Wächter. Auch gut etablierte Fremdwörter können gefährdet sein, wenn sie nicht aus dem Englischen stammen: Aus Niveau wird Level, aus dem Diner ein Dinner. Wer noch Diner sagt, riskiert eine Belehrung: Das spreche man «Deina» aus, und es bedeute ein Lokal, nicht eine Mahlzeit.

Dass im Sport manches aus dem englischen Sprachraum kommt, die Sache wie das Wort, hat uns mancherlei Bezeichnungen beschert, für die wir (wenigstens in der Schweiz) gern auf Eindeutschungen verzichten: Der Goalie muss kein Torwart sein, der Penalty kein Elfmeter, der Corner kein Eckstoss. Aber auch ein Satz wie dieser müsste nicht sein: «Ein Jahr später finishte Stephan seinen ersten Marathon.» Und wer einen US-Sportclub als Franchise bezeichnet, zeigt nur, dass er das dortige Lizenzwesen kennt, aber nicht, dass er hierzulande verstanden werden möchte. Auch bei uns sind Spitzenclubs höchstens pro forma noch Vereine, funktionieren aber als Firmen, und man könnte sie durchaus so bezeichnen. Managerdeutsch pflegen sie und ihre CEOs ja schon.

Insider-Englisch macht sich auch auf Kulturseiten breit: Längst ist der Kassenschlager ein Blockbuster und das (biografische) Filmporträt ein Biopic. Neulich wurde ein von seinem Metier besessener Filmemacher als Maniac bezeichnet, und eine Bücherrubrik kommt als Bookmark daher. Gerade Computerprogramme, von denen der Begriff stammt, zeigen aber, dass es auch auf Deutsch geht: Lesezeichen. In eigener Sache ist man eben lieber «up to date» als auf der Höhe, verkauft eine (linear präsentierte) Chronik als Timeline oder eine Tonbildschau im Internet als Soundslides. Wenn ein Verlag jemanden als «Mitarbeiter/in Outbound» sucht, meint er nicht einen Ausbund an Tüchtigkeit, sondern jemanden für den Aussendienst, und «Agent/in Retention» bedeutet nicht, ins Gefängnisgeschäft einzusteigen: Man soll «Kündigungen mit dem Ziel der Kundenrückgewinnung bearbeiten». Vielleicht mit dem Versprechen, englische Wörter nur noch mit Bedacht zu verwenden.

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)