«Der Bund», 7. 2. 2014

Besser schreiben mit Adam Riese

Ein mathematisch versierter Leser klagt: «Der ‹kleinste gemeinsame Nenner› ist offenbar nicht mehr auszurotten.» Neulich habe ihn «sogar die NZZ wieder aufgewärmt, und zwar im Kommentar zur neuen österreichischen Regierung». In der Tat ist der «kleinste gemeinsame Nenner» (KGN) mathematischer Unsinn, denn man findet immer einen noch kleineren, oder: Wenn man sich sinnvollerweise auf ganze Zahlen beschränkt, ist der kleinste immer 1. Und damit ist jede Aussage über einen KGN banal.

Der Leser vermutet, gemeint sei der aus dem Mathematikunterricht bekannte «grösste gemeinsame Nenner» (GGN). Den aber braucht man zum Kürzen von Brüchen, und um Brüche geht es bei der Wiener Koalition oder sonstigen Findungen eines KGN durchaus nicht, so hoffen wir doch. Was man da zu finden pflegt, ist kein Nenner im rechnerischen Sinn, also was im Bruch unter dem Strich steht, sondern eine Schnittmenge, also das, was die Beteiligten in ihrem Programm gemeinsam haben. Und der KGN in diesem Sinn ist offenbar das, was man mit eifrigem Suchen zusammengekratzt hat und für gerade noch genügend hält, um als Grundlage zum gemeinsamen Regieren zu dienen (oder der Öffentlichkeit so präsentiert zu werden).

Die Umdeutung eines Fachbegriffs kommt in der Sprache öfters vor; so wirft gemeinhin jemand das Handtuch, wenn er aufgibt – beim Boxen aber, wo der Ausdruck herkommt, wirft nicht der Sportler selber das Handtuch, das er ja nicht bei sich hat, sondern der Trainer wirft es ihm zu, auf dass der Angeschlagene aufgebe. Wer sich ausserhalb des Faustkampfs am «falschen» Sprachgebrauch stört, soll diesen selber vermeiden – aber es ist verlorene Liebesmüh, ihn bei andern anzuprangern: Die allgemeine Sprache hat sich hier einen Fachausdruck angeeignet und ihm ein Eigenleben verschafft, das nicht mehr an jenes im Herkunftsgebiet gebunden ist.

Ebenso kann man sich fragen, ob «grösser als» noch so mathematisch genau zu nehmen ist, wie es der Dudenband «Richtiges und gutes Deutsch» tut. Falls Sie meinen, dreimal länger als 3 cm seien 9 cm, so liegen Sie demnach falsch, denn: «Eine Strecke von 12 cm ist dreimal so lang wie eine von 4 cm, aber dreimal länger als eine von 3 cm.» Die (im Buch ausführlichere) Begründung: Mit «dreimal länger als» werde ausgedrückt, dass das Dreifache zum ursprünglichen Wert hinzukomme, dass also die längere Strecke «viermal so lang wie» die kürzere sei.

So viel mathematische Präzision in Ehren, aber: Kaum jemand wird unter «dreimal länger» Duden-gemäss «viermal so lang» verstehen. Die Gleichwertigkeit mit «dreimal so lang» drängt sich förmlich auf. Anders wäre es, wenn es hiesse: «um 300 Prozent länger», denn mit der Prozentangabe verbindet man die genaue Betrachtungsweise. Man kommt daher zumindest zur Vermutung, es sei eine Strecke gemeint, die 400 Prozent der kürzeren misst. Allerdings hätte man es lieber gleich so gelesen, also «400 Prozent der Strecke X», statt «um Y Prozent länger».

Man kann «dreimal länger» als umgangssprachlich einstufen und das präzisere «dreimal so lang» vorziehen. Wie aber steht es mit «dreimal kürzer als»? Ein früherer Arbeitskollege pflegte sich über diese Formulierung aufzuregen; ich habe ihn aber nie gefragt, ob er «dreimal so kurz wie» goutiert hätte. Vermutlich hätte er sich auch daran gestört, denn es schien ihm darum zu gehen, dass hier mit «dreimal» nicht eine Vervielfachung beschrieben wird, sondern eine Teilung. «Einen Drittel so lang wie» wäre die auch mathematisch korrekte Umschreibung. Zu «dreimal kürzer als» äussert sich der Duden nicht; täte er es, so müsste er es von «dreimal so kurz wie» unterscheiden – aber in der Umgangssprache ist das gehupft wie gesprungen.

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch) Mathematische Klarstellung in der Folgekolumne