«Der Bund», 8.1.10

Die Nichtregierung kümmert sich um uns

Die Nichtregierung leistet enorm viel, und doch kennt kaum jemand sie – drum sei ihr zum Jahresbeginn ein Kränzchen gewunden und auf diesem Weg zugestellt. Denn irgendwo muss sie ja stecken, schliesslich schenkt sie uns Organisationen sonder Zahl, die einander gegenseitig darin überbieten, Gutes zu tun. Wer speist die Armen, tröstet die Kranken, setzt sich für politische Gefangene ein, markiert unsere Wanderwege, schützt Frösche und Lurche? Fast immer ist es eine Körperschaft, die sich heute gern als NRO bezeichnet, als «Nichtregierungsorganisation». Falls sie nicht das Kürzel NGO vorzieht und damit auf den englischen Ursprung dieses Sammelnamens verweist.

Non-government organizations (meist mit amerikanischem -z-, nicht britischem -s-) also sind es, die sich um gar manches kümmern, das auch den Regierungen wohl anstünde, von diesen aber oft sträflich vernachlässigt wird. Natürlich bezieht sich die Bezeichnung keineswegs auf eine mysteriöse «Nichtregierung», die da in die Bresche spränge. Die Organisationen legen vielmehr Wert auf die Feststellung, sie seien nicht von einer Regierung abhängig oder gar von ihr geschaffen.

«Regierungsunabhängig» nennen sie sich daher auf Deutsch zuweilen auch. «Nichtstaatlich» wäre näher am Original, denn wenn Amerikaner «government» sagen, meinen sie kaum die Regierung, schon gar nicht die aktuelle, sondern den Staat an sich. Das Regieren besorgt die «administration», die den Namen des jeweiligen Präsidenten trägt und für uns jetzt «Regierung Obama» heisst. Wer dagegen «Obama-Administration» nachplappert, müsste eigentlich jene Leute im Weissen Haus meinen, die des Präsidenten Alltag verwalten, seine Termine, Reden und Reisen. Diesen Stab gibts ja, und um seine Macht rankt sich manche Legende.

Aber ist die Unabhängigkeit von der sichtbaren oder weniger sichtbaren Regierung wirklich, was das Wesen einer NGO ausmacht? Auch Sportvereine, Berufsgilden und politische Parteien sind im Prinzip nicht von der Regierung abhängig, wenngleich oft von deren Geld. Steuergelder nehmen auch «richtige» NGOs zuweilen ohne Skrupel. Aber sie würden wohl aufschreien, beanspruchten blosse Interessenverbände den Ehrentitel der Regierungsunabhängigkeit. Bestenfalls gesteht man den «unechten» NGOs zu, dass sie ebenfalls zur «Zivilgesellschaft» gehören; diese Anleihe aus dem Englischen verdiente eine eigene «Sprachlupe».

Der wahre Prüfstein für eine NGO ist, ob sie sich für Wesen einsetzt, die ihr nicht angehören. Sie tut es entweder in althergebrachter Weise als Hilfswerk und könnte sich dann wohltätig nennen, klänge es nicht so selbstgerecht. Oder sie betreibt «advocacy», ist also Fürsprecherin zum Beispiel des globalen Klimas oder der deutschen Sprache. Meistens treibt eine Organisation beides zugleich: Sie hilft, und sie weibelt. Für altruistisches Wirken dieser Art gibt es ein leider aus der Mode geratenes deutsches Wort, das den NGOs eine wesentlichere Eigenschaft als ihre «Nichtregierungshaftigkeit» attestiert: Gemeinnützig sind sie.

© Daniel Goldstein