Würzige Kürzungen

«EU sitzt am längeren Hebel»: Früher sagte man «Hebelarm». Das ist zwar physikalisch immer noch richtig, denkt man ans Hebelgesetz, aber selten geworden. Ich befürchte, manche Leser denken nun an eine Maschine mit zwei Hebeln, von denen der längere mehr bewirkt. Aber die verkürzte Redensart hat sich durchgesetzt und erfüllt ihren Zweck: Man weiss, wer mit gleichem Aufwand mehr erreicht.

Ähnlich redet man nur noch vom «Spatenstich» statt vom «ersten S.», und gut betuchte Leute sind nur noch betucht*. Na ja, der Rest der Arbeit wird kaum noch mit dem Spaten gemacht, und billiger Stoff verdient es nicht, Tuch genannt zu werden.

Wer oder was feiert heute noch «fröhliche Urständ»? Man muss froh sein, wenn die Zeit reicht, «Urständ» zu feiern. Die sind dann automatisch fröhlich, denn andere Verwendungen kennt das Wort ja nicht (mehr).

In allen diesen Fällen sind die Wörter mit Sinn aufgeladen worden, dagegen ist nichts einzuwenden, anders als bei einer Verflachung des Wortsinns. Vorausgesetzt, es ist jeweils klar, ob ein Wort im gewöhnlichen oder im prägnanten Sinn (vgl. engl. «pregnant») verwendet wird – und das ist bei den Redensarten der Fall.

© Daniel Goldstein

* Diese Verkürzung ist freilich auch eine Rückkehr zu den Quellen, denn «betucht» stammt laut Duden.de und Etymologie.info vom hebräischen «betuach» für «sicher», auf Jiddisch auch «wohlhabend». Erst mit der falschen, volkstümlichen Herleitung von «Tuch» kam wohl «gut» dazu.